28. 9. 2005
7. Vereint für immer
"Herr Hauptmann, ich begrüße Sie in der Bundesrepublik Deutschland."
So wird Henrik Strehlow am 3. Oktober 1990 geweckt. Er ist der Dienst habende
Offizier des Pionierregimentes 3 der Nationalen Volksarmee. Am Tag der
Wiedervereinigung hört diese Armee auf zu existieren. Zum ersten Mal
zieht Strehlow die Uniform der Bundeswehr an. Gestern noch war er Major
der NVA, heute nur noch Hauptmann der Armee des einstigen Klassenfeindes.
Als er nach Hause kommt, hat seine vierjährige Tochter Tränen
in den Augen. "Vati, ich versteh das nicht. Die DDR ist gestorben und alle
Leute freuen sich. Wenn man stirbt, muss man doch weinen!" "Komm, das erklär
ich dir später. Das hat schon seine Richtigkeit", antwortet er.
"Wir sind ein Volk!" - fordern schon im Frühjahr die Demonstranten
auf zahlreichen Montagsdemos. Der Zug in Richtung Wiedervereinigung nimmt
nach der Wahl immer schnellere Fahrt auf. Politisch werden die wichtigsten
Weichen gestellt. Am 31. August wird der Einigungsvertrag unterzeichnet.
Mit weit reichenden Folgen für die Deutschen in Ost und West. Das
Prinzip "Rückgabe vor Entschädigung" wird in den Folgejahren
die Gerichte zuhauf beschäftigen.
Aufbauhelfer kommen zu Tausenden aus dem Westen. Schließlich
wird zu einem großen Teil das Prinzip Bundesrepublik den neuen Ländern
übergestülpt. Viele gelernte DDR-Bürger fühlen ein
Unbehagen. Sie sind unsicher und hilflos. Der Rausch von Freiheit und D-Mark
verfliegt. Immer offensichtlicher wird, dass die deutsche Teilung Spuren
hinterlassen hat. "Ossi" und "Wessi" werden zu Schimpfwörtern.
Ein grundlegender Wandel in allen Bereichen findet statt. Neue Verwaltungen
müssen her, Telefonleitungen, schlaglochfreie Autobahnen, wasserdichte
Dächer und vieles mehr. Es gilt ein herunter gewirtschaftetes Land
aufzubauen. Gleichzeitig müssen alte Eliten und eine marode Wirtschaft
abgewickelt werden. Als erster großer Betrieb wird in Dresden das
Kamerawerk Pentacon geschlossen. 6000 Menschen sind betroffen. Zum ersten
Mal sind sie mit Arbeitslosigkeit konfrontiert. Die leitende Angestellte
Regine Burckhardt kann nachts nicht mehr schlafen. Erst muss sie nacheinander
die Mitarbeiter entlassen, dann ihr Büro ausräumen und ihren
Schlüssel beim Pförtner abgeben. "Mir war, als würde ich
mein Leben wegschmeißen", erzählt sie.
Die deutsche Einheit wird zuerst in den Innenstädten sichtbar:
Baugerüste statt Abrissbaggern. Schon seit Ende der 80er Jahre stemmt
sich die junge Architektin Antje Hainz gegen den Verfall der Meißner
Innenstadt. Ein Kampf mit leeren Händen gegen die Windmühlenflügel
des realsozialistischen Mangels. Jetzt endlich kann sie richtig kämpfen.
Mit Ziegeln, Mörtel und Bauholz. Mit Geld und Expertenrat aus dem
Westen.
Aufbau und Abwicklung, Hoffnung und Verzweiflung - dieser Gegensatz
begleitet die Menschen in den Monaten nach der Wiedervereinigung.
Bearbeitet am 18. Oktober 2005