14. 11. 2005
4. Umstrittene Therapien
Die Medizin kann auf beeindruckende Erfolge verweisen, die oft gegen
heftige Widerstände errungen werden mussten. Dies beleuchtet der vierte
Teil der TV-Reihe "Auf Leben und Tod - Sternstunden der Medizin". Gleichwohl
erzählt die Folge "Umstrittene Therapien" auch von den Krankheiten,
denen Ärzte und Forscher bis heute machtlos gegenüber stehen.
"Chirurgen, die versuchen am Herzen zu operieren, können nicht
auf den Respekt von Kollegen hoffen", sagte der große Wiener Chirurg
Theodor Billroth noch im Jahr 1880. Herzoperationen waren ein Tabu - bis
zur Pioniertat des Chirurgen Alfred Blalock, der im Jahr 1944 in Baltimore
als Erster am offenen Herzen operierte. Es gelang ihm, ein Loch in der
Herzscheidewand eines Kindes zuzunähen. Allein bis 1962 rettete seine
Methode fast 100.000 Amerikanern das Leben.
Stets haben Ärzte versucht, die Fortschritte der Technik für
die Medizin zu nutzen. Und so geht eine weitere Pioniertat der Medizin
zurück auf die Zusammenarbeit zwischen dem amerikanischen Herzchirurgen
Albert Starr und dem Ingenieur Lowell Edwards. Im Jahr 1960 setzten Starr
und Edwards zum ersten Mal einem Patienten eine künstliche Herzklappe
ein. Ein heute gängiges Ersatzteil, das unzähligen Patienten
das Leben um viele Jahre verlängert.
Der berühmteste Herzchirurg aller Zeiten ist wohl der Südafrikaner
Christiaan Barnard. 1967 führte er die erste Herztransplantation durch
und fand viele Nachahmer. Doch noch Jahre nach dieser Premiere sollten
die meisten Empfänger eines Transplantats binnen Jahresfrist sterben.
Denn noch war es den Ärzten nicht gelungen, die Abstoßung des
körperfremden Organs langfristig zu verhindern.
Während Versuche, Leben mit einem Kunstherz zu verlängern,
immer wieder fehlschlugen, erwies sich eine andere Erfindung als segensreich:
der Herzschrittmacher. Zwei Schweden entwickelten 1958 den ersten Frequenzgeber.
Weltweit bringen heute Schrittmacher durch ihre elektrischen Impulse pro
Jahr eine halbe Million Herzen wieder in den richtigen Takt.
Die Geschichte der Medizin ist immer wieder geprägt durch die
Diskrepanz zwischen Erkennen und Heilen. Dies gilt auch heute noch für
viele Krebsarten. Geht es um die "Geißel der Menschheit", sind die
Diagnoseverfahren weiter entwickelt als die therapeutischen Möglichkeiten.
So kann zum Beispiel seit der medizinischen Nutzung des Ultraschalls bösartiges
von gutartigem Gewebe unterschieden werden. Und dank der Computertomographie
ist man heute in der Lage, selbst Krebsherde von weniger als einem Millimeter
Durchmesser zu erkennen. Zur Heilung von Krebserkrankungen setzt die Medizin
nach wie vor auf die Chirurgie, die Strahlen- und die Chemotherapie. Doch
viel zu oft müssen Stahl, Strahl und Chemo vor der Übermacht
des Krebses kapitulieren. Sie zu brechen ist und bleibt eine der größten
Herausforderungen der Medizin.
Dank der Fortschritte der Medizin werden die Menschen immer älter.
Doch das Schreckgespenst des Alters ist die Alzheimersche Krankheit. Diagnostiziert
wurde sie zum ersten Mal im Jahr 1901 von Alois Alzheimer, einem Arzt der
"Städtischen Heilanstalt für Irre und Epileptische" in Frankfurt
am Main. Er war vom geistigen Verfallsprozess einer erst 51 Jahre alten
Frau so berührt, dass er ihre Krankheitsgeschichte genau protokollierte.
Nach ihrem Tod untersuchte er ihr Gehirn und entdeckte dort seltsame Eiweißablagerungen,
die er als "senile Plaques" bezeichnete. Wie sich die Zerstörungsprozesse
im Gehirn abspielen, ist bis heute nicht erforscht. Auch dem Frankfurter
Irrenarzt blieb dies verborgen. Dennoch sollte die Krankheit später
seinen Namen tragen: Morbus Alzheimer.
Bearbeitet am 30. Dezember 2005