26. 12. 2008
2. Der Fluss der Kosaken
Die Don-Steppe am unteren Flusslauf war über die Jahrhunderte
Heimat der Donkosaken. „Die Kosaken haben Russland zu Russland gemacht,“
sagte Zar Alexander der Zweite. Am Fluss leben sie auch heute in ihren
Stanizen. Fritz Pleitgen fragt die Kosaken Michail und Jurij, welche
Lebenseinstellung sie von ihren Vorfahren ererbt haben. „Der Kosak ist
wild, frech und frei. Er wird sich niemals unter den Stiefel zwingen lassen.
Das Mischblut macht das Besondere aus. Hier im Süden stecken in uns
Türken, Kalmücken, Mongolen, Tataren, Russen und Ukrainer. Diese
Mischung sorgt für die explosive Kosakenart,“ erläutern beide.
- Michail Scholochow hat die Kosaken in seinem weltbekannten Roman "Der
stille Don" verewigt. Er schildert den Untergang des glorreichen Kosakentums
im Bruderkrieg am Don. Die Geschichte des Kosaken Grigorij und seine leidenschaftliche
Beziehung zur verheirateten Nachbarin Axinja sind durch den Roman weltbekannt
geworden. Der berühmte sowjetische Autor und Nobelpreisträger
lebte bis 1984 in Wjóschenskaja in einer prächtigen Villa.
Dort spricht Fritz Pleitgen mit Scholochows Sohn Michail und Enkel Alexander
über die Plagiatsvorwürfe. Scholochow soll den "stillen Don"
nicht selbst geschrieben haben, so heißt es.- Auf einem kleinem Dampfer
der Don-Fluss-Flotte wird die Reise fortgesetzt. Dass der Don nicht überall
schiffbar und voller Untiefen und Sandbänke ist, erlebt das Filmteam,
als das Schiff auf Grund läuft. Nachdem ein Schlepper den Dampfer
wieder auf Kurs gebracht hat, erreicht er nach 101 Kilometern bei Kalatsch
den Wolga-Don-Kanal. Die Passage wurde 1952 eröffnet, die Verbindung
zwischen Wolga und Don, ein Triumph für Stalin. Er erzwang, woran
Peter der Grosse gescheitert war. Mit 13 Schleusen wird der Höhenunterschied
zwischen Wolga und Don überwunden. In nur drei Jahren hatten 200 000
Sträflinge und 100 000 deutsche Kriegsgefangene den künstlichen
Wasserweg durch die südrussische Steppe gegraben. - Bei seiner Expedition
ins Steppenland werden Fritz Pleitgen und das WDR-Team vom Naturschützer
Alexander Lipischkin. „Wie alle Flüsse ist auch der Don sehr verwundbar.
Seine Nutzung für den Öltransport ist eine ständige Gefahr.
Die empfindlichsten Wesen im Ökosystem sind die Vögel“, erläutert
dieser. - In der ehemaligen Kosakenhauptstadt Starotscherkássk findet
an einem verregneten Sonntag ein Kosakenfest statt. Mögen die Kosaken
politisch keine Rolle mehr spielen, mit ihren Gesängen und Tänzen
prägen sie die russische Folklore auch heute noch. Sie haben ihre
eigenen Uniformen, dürfen sich ihren Führer, den Ataman, wählen,
aber eine militärische Sonderrolle spielen sie nicht mehr. Auf die
Frage, wie die Tradition weitergegeben wird, sagt Ataman Fjodor Fjodorowitsch:
„Wir versuchen, unseren Kindern von klein an die Traditionen und Werte
der Kosaken beizubringen. Respekt vor den Älteren, Mut, Freiheitssinn,
Ehrgefühl, Gottesfurcht“, antwortet er. - Die Fahrt geht weiter nach
Rostow am Don, dem Tor zum Kaukasus. Seit dem Konflikt mit Georgien geht
Richtung Kaukasus weit weniger über die Schwelle als früher.
Rostow ist eine Millionenstadt mit südlichem Charme. Hier leben Armenier,
Georgier, Abchasen, Tschetschenen und Dutzende andere mehr geben der Stadt
neben Russen und Ukrainern das Gepräge. - Westlich von Rostow berichten
Krebsfänger über ihre Existenz. Irina Andréjewna, eine
gestandene Kosakenfrau, und ihre Familie laden zum Krebsessen ein. „Es
ist der Don, der uns ernährt, wie in alten Zeiten“, meint Vater Leonid.
„Wenn der Don hier nicht fließen würde, müssten wir als
Wanderarbeiter unterwegs sein.“ Fritz Pleitgen verabschiedet sich vom Don
bei Asow, wo der Fluss majestätisch in das gleichnamige Meer mündet.
Bis zum Schluss bewahrt sich Väterchen Don seinen Charakter. Ein Fluss
ohne Eile, nachdenklich und mächtig. Wie sagte der Schriftsteller
Viktor Jerofejew zu Beginn unserer Reise? „Der Don ist das ewige Russland“.
Bearbeitet am 4. Januar 2009