6. 4. 2009
4. Von der Schulbank ins Gefecht
Deutschland im Frühjahr 1945. Während hoch dekorierte Wehrmachtsoffiziere
längst das Weite gesucht haben, kämpfen die Kinder in Uniform
auf verlorenen Posten. Einer von ihnen ist Gregor Dorfmeister (Jahrgang
1929). Die schrecklichsten Tage seines Lebens hat er später in einem
Roman verarbeitet, der die Vorlage zum gleichnamigen Kinofilm „Die Brücke"
von Bernhard Wicki liefert. Im Interview erzählt er von seinem sinnlosen
Einsatz bei der Verteidigung einer Isarbrücke vor den Amerikanern.
„Und dann hat man nur noch Angst, hässliche Angst, und Führer
und Volk sind vergessen und man will nur noch sein eigenes Leben retten."
Ihm gelingt die Flucht, seine zwei fanatischen Kameraden findet er am nächsten
Morgen tot auf der Straße. Die Angst vor den Besatzern ist groß.
Nur mit großer Vorsicht nähern sich die Kinder den alliierten
Soldaten. Ideologisch geprägte Vorurteile von marodierenden Russen
und schwarzen Amerikanern mit Messern zwischen den Zähnen haben sich
in den kleinen Köpfen oft sehr tief festgesetzt. Doch die Wirklichkeit
belehrt sie bald eines Besseren. Heidi Hummler (Jahrgang 1933) ist dankbar
für den Frieden. Denn in ihrer Familie gibt es seit fast einem Jahr
nur ein Thema: Wo ist Papa? Und wann kommt er wieder zurück? Doch
die Suche nach einem Lebenszeichen gestaltet sich schwieriger als erhofft.
So viele vermisste Väter, so viele wartende Kinder. Erst 1949 bekommt
sie die Gewissheit - der Vater ist gefallen. Mit dem Ende des Kriegs beginnt
für viele ein erbitterter Kampf ums Überleben. Mit der Mutter
geht´s zum Hamstern aufs Land, oft ohne Schuhe, in einer selbst genähten
Hose aus Uniformstoff. Stoppeln auf den Feldern und ein paar Kartoffeln
vom Bauern im Tausch gegen eine Uhr - oder die Holzeisenbahn. Unzählige
Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und befreite KZ-Gefangene bevölkern
plötzlich die Ortschaften. Erstmals werden Kinderaugen mit anderen,
ihnen nicht bekannten Opfern des Krieges konfrontiert. Die ausgemergelten
Gestalten jagen den Kleinen Angst und Schrecken ein, bei den Größeren
überwiegt die Scham. Wie lief die viel bemühte Umerziehung der
15 Millionen Kriegskinder in Deutschland ab? Wie kann man einem begeisterten
Hitlerjungen, der gerade noch sein junges Leben für „den Führer"
geben wollte, gänzlich neue Werte beibringen? Wie soll dieses Kind
plötzlich sein gesamtes Leben vergessen, seine Prägungen löschen,
zur „Normalität" übergehen? Wie kann er all den Schrecken vergessen
lernen, auch die Schuld, und wieder neu beginnen? Und wann werden ihn all
die Ängste und Traumata wieder einholen?
Bearbeitet am 24. April 2009