37 Grad
Einsame Klasse! - Zwei Deutsche im britischen Internat
Ein Film von Thorsten Eppert
Deutschland 2009
ZDF, 13. Oktober 2009

Manchmal hatte ich Glück in meinem Leben. Zum Beispiel als Teenager, als Zögling eines Internats oder als Schüler einer öffentlichen Schule. Es gab niemanden, der mein Leben in einem Film dokumentierte, der das, was ich damals gesagt habe, der Nachwelt übermittelt hat. Schön.

Die beiden Teenager Philip und Andi hatten dieses Glück nicht, Autor Thorsten Eppert hingegen schon, und damit auch das gaffende TV-Publikum. Die beiden Buben wurden von ihren Eltern nach England auf das Ellesmere College geschickt, um auf der Insel die Hochschulreife zu erwerben. Beide Elternhäuser hatten das nötige Kleingeld für diesen Schritt, denn das Abenteuer Bildung in England ist nicht ganz billig.

Thorsten Eppert gelang das Kunststück einer Langzeitreportage. Er begleitete den Schüler Philip über drei Jahre in seinem Schul- und Internatsdasein und lernte dabei Philips Gegenpol kennen, Andi. Die ersten Schritte Philips wurden den Zuschauern schon vor etwa zwei Jahren präsentiert, im Herbst 2009 folgte die Auflösung der Geschichte, das Finale. Philip war als deutscher Schulversager nach England gekommen. Unumwunden räumte der Junge ein, er sei am deutschen Schulwesen wegen seiner Faulheit gescheitert. Er hatte die 9. Klasse nicht geschafft. Seine Eltern kauften ihn auf einem britischen Internat ein. Hier erwarteten die Schüler persönliche Förderung, aber auch Zucht und Disziplin.

Der Tag beginnt mit einem Gottesdienst. Die Kamera hielt drauf, als Andi während der Zeremonie schwatzte, sie fing auch ein, als er deswegen gerügt wurde. Andi hat Brüder, die sich ebenfalls zur Ausbildung in England tummelten. Der Junge wusste, was ihn erwartete. Im Gegensatz zu den meisten Deutschen passte er sich an die britische Mentalität an (welche das auch immer sein mag). Die englischen Schüler akzeptierten ihn, während sie sonst zu den deutschen Knaben Abstand hielten, nicht jedoch zu den deutschen Internats-Girls, die sie zur Befriedigung ihrer Lust akzeptierten und dies stolz in die Kamera plapperten. Eigentlich sollte Sex kein Thema im Internat sein. Den Schülern wurde zu Beginn verdeutlicht, dass sexuelle Verhältnisse nicht geduldet würden. Britische Zucht eben. Oder Prüderie. Andis Weg führte zum Erfolg. Er schaffte den Abschluss, kehrte nach Deutschland zurück, legte sich eine britische Freundin zu, und studiert heute Ökonomie, das klassische Fach aller Aufsteiger. Zielorientiert war sein Schuldasein in England gewesen, nun strebt der junge Mann nach beruflichen Erfolgen, möglichst in England. Auch wenn ich nicht weiß, was an Manchester besser sein soll als an Innsbruck, so sei ihm Erfolg gegönnt.

Die Stunde der WahrheitDer "faule" Philip hingegen konnte sich nicht an Zucht und Ordnung gewöhnen, nicht in Deutschland, nicht in England. Bei einem Besuch in der Schule dämmerte es seinem Vater. Der hätte am liebsten einen Lehrer zur Orginasation und Kontrolle seines Sohnes angestellt. Der Sohn eckte bei den Lehrern an, doch auch dümmliche Strafen änderten nichts an seinem gestylten unorganisierten Auftreten. Nach drei Jahren hatte sein Schul- und Internatsleben ein Ende. Die Abschlussarbeiten waren geschrieben, der junge Mann kehrte ins Elternhaus zurück. Allerdings: das Ergebnis seiner schulischen Bemühungen war noch nicht bekannt. Er erfuhr es daheim, in Gegenwart seiner Eltern übers Internet. Philip war durchgefallen.

Das Fazit der Langzeitbeobachtung kann grausamer nicht sein. Wer es auf einer deutschen Schule nicht schafft, der hat auch auf einem britischen Internat keine Chance. Die britischen Schüler waren an einer Integration ihrer deutschen Mit-Schüler nicht interessiert. Die Schule selbst konnte die Defizite ihrer Schüler eben nicht durch Zucht und Disziplin überwinden. Schüler Philip scheiterte, ob an sich oder am Schulsystem: das dürfte ihm und seinen Eltern gleich sein, denn sie haben mehrere zehntausend Euro verjubelt. Die Dürftigkeit des Systems wurde durch nichts so grausam dokumentiert wie durch die Art und Weise, in der das Resultat der Schul-Bemühungen mitgeteilt wurde, unpersönlich durch das Internet. Das muss man erst mal bringen!

Indes wurde auch deutlich, dass Philip sich einer Nachprüfung stellen kann. Ich wünsche ihm, dass er den Abschluss packt, ohne Kamera, ohne Aufsehen, um ein Leben ohne Mikrophon zu führen. Reden ist Silber. Und vielleicht wäre es Gold, wenn auch ich mich gelegentlich im Schweigen üben würde.

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Bearbeitet am 25. Oktober 2009

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