Gayfällt mir
Der CSD in Münster am 16. Juni 2012
Eigentlich
hatte ich mir vorgenommen, in diesem Jahr nichts zum CSD zu schreiben, und schon gar nicht hier auf bamby. Diese Internetseite dient zwar auch der Aufklärung und der Unterhaltung, aber weniger in diesem Sinne.

Andererseits
kamen meine Zeilen zum CSD 2011 hier auf bamby im letzten Jahr gut an.

Schließlich
veranlasste mich eine Rüge von Wolfgang zum Umdenken.

Weshalb
ich nun am Rechner sitze und ein paar Zeilen zum CSD 2012 schreibe. Und zu seinem Vorgänger. Vor vierzig Jahren, im April 1972, wagte Rainer Barzel ein Misstrauensvotum gegen Willy Brandt und Rainer Plein ein Misstrauensvotum gegen verbohrte Heterosexuelle. Bekanntlich scheiterte Barzel. Plein hingegen scheiterte nicht. Deutschland erlebte seine erste Homo-Demonstration, und diese fand in Münster statt.

Allerdings
konstatiere ich schon seit Jahren das Fehlen einer g'scheiten Erinnerungskultur. Mehr noch: ich halte Münster für eine Stadt mit einem mangelnden Geschichtsbewusstsein. Das trifft natürlich auch für die Deutschen in ihrer Mehrheit zu. Man muss schon dankbar sein, dass es gelungen ist, die Erinnerung an die Grauen der Nazizeit den Deutschen zu vermitteln. Tatsächlich, das ist gelungen.

Natürlich
sind die Schwulen und Lesben Münsters keinen Deut besser. Vierzig Jahre erste deutsche Schwulen-Demo in Münster: das wäre eine wunderbare Gelegenheit gewesen, um richtig auf die Pauke zu hauen. Dazu ist es in der Westfalenmetropole nicht gekommen. Das KCM etwa als selbsternanntes Schwulenzentrum machte gar nichts.

Immerhin
gab es das Schwulenreferat der Uni Münster, die Grünen und den WDR. Das Schwulenreferat brachte eine kleine Ausstellung nebst Vortrag auf die Beine. Beides fand im Fürstenberghaus statt. Die Ausstellung wurde im Eingangsbereich der alten Klappe postiert, war also besonders gelungen positioniert; ob sich die Macher dieser Feinheit bewusst waren, kann ich allerdings nicht sagen. Aus Düsseldorf kam Arndt Klocke, aus Münster Josefine Paul: beide eint nicht nur ihre Mitgliedschaft bei den Grünen, sondern auch im Landtag. Vom selbsternannten Schwulenzentrum wurde beim Vortrag von mir niemand gesichtet, nicht als Redner, nicht als Zuhörer. Das Fehlen war schon peinlich, ein Erscheinen wäre nicht minder peinlich geworden, denn im letzten Herbst hatte Gay & Grey das selbsternannte Schwulenzentrum verlassen. Nach einer Kette von Skandalen hatte die Generation, die seit den siebziger Jahren für Bürger- und Schwulenrechte auf die Straßen gegangen war, das Maß an Gehässigkeit nicht mehr ertragen, welches ihnen besonders aus dem Vorstand des selbsternannten Schwulenzentrums entgegengeschlagen war. Der Häuptling der Gruppe sprach das deutlich aus und wollte sich dabei nicht knebeln lassen. Er ging. Mit ihm ging die Gruppe.

Passend
zum Jubiläum erinnerte der Westdeutsche Rundfunk an das Ereigniss vor vierzig Jahren: Kategorie: Stolz auf unser Land und seine Bürger!

Auch
die Grünen machten eine Veranstaltung und holten dafür eine Ministerin aus dem fernen Düsseldorf. Auf dieser Gedenkveranstaltung wurde das Erreichte gefeiert, zugleich aber bestehende Diskriminierungen festgestellt und bedauert. Da das selbsternannte Schwulenzentrum durch komplette Abwesenheit beim Jubiläum geglänzt hatte, war man dort der Meinung, mindestens den Grünen ihre Veranstaltung nachträglich zu versauen. Der Vorstand ließ erklären, er wisse nicht was die Grünen mit dem Ereignis zu tun hätten, zumal jede rechtliche Diskriminierung längst aufgehoben sei.

Hups,
das war ein klassisches Eigentor. Da hatte man die Grünen mal so richtig vorführen wollen, am Ende aber sich selbst blamiert. Hohn und Spott ergossen sich angesichts dieser Unverschämtheit über das selbsternannte Schwulenzentrum. Neunzehn Gruppen distanzierten sich öffentlich von dem Blödsinn dieser Herren, die glaubten, sie hätten das Format, mal eben so die Grünen vorzuführen.

Wenn
man bedenkt, dass sich durch ein Urteil auf europäischer Ebene zum Inzest die Situation für sexuelle Minderheiten nicht gebessert hat, wird deutlich, wie gefährlich dieser Unfug aus unberufenen Munde ist. Die europäische Justiz gestattet dem Staat, Inzest weiter zu kriminalisieren, aus Gründen der Moral natürlich. Was hat das mit den Schwulen und Lesben zu tun? Der Staat bekommt das "Recht" bestätigt, erwachsene Personen zu kriminalisieren, die einvernehmlich Sex miteinander haben. Wer Inzest kriminalisieren darf, darf auch Homosexualität kriminalisieren, im Namen einer Moral. Selbstbestimmungsrecht? Abgetreten an den Staat und die Moral der Mächtigen.

Trotzdem
war der CSD 2012 in Münster wieder eine schöne runde Sache. Mit dem Motto "Gayfällt mir" trat man an. Das große Jubiläum taugte also nicht als Aufhänger für den CSD in Münster. Die Jugend stand im Mittelpunkt, nicht die Alten. Außerdem gilt ja noch: Das Auge isst mit.

Zuletzt
überraschten die warmen Deutschen mit einer Neuerung, die für edle Deutsche so neu nicht ist. Es gibt jetzt auch eine CSD-NRW-Fahne. Die Deutschen und ihre Fahnen: eine unendliche Geschichte.

End-Lich
komme ich zum Schluss dieses allzu langen Sermons. Ich habe Wolfgang schon zu Beginn des Jahres gefragt, was er denn zum Jubiläum plane. Im übertragenen Sinn fühlte ich mich bei Wolfgangs Antwort an Johann Jacoby erinnert, denn Wolfgang wollte an dem Tag das, was vor geraumer Zeit als Gnade erbeten, nunmehr als Recht in Anspruch nehmen, und sich also ... äh ... mit seinem Freund ... äh ... (bamby ist anständig) .... fleischlich vereinigen.

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Bearbeitet am 30. Juni 2012 & 22. Juni 2013

(C) Norbert Korfmacher, 2012