Andererseits
kamen meine Zeilen zum CSD 2011 hier auf bamby im letzten Jahr gut
an.
Schließlich
veranlasste mich eine Rüge von Wolfgang zum Umdenken.
Weshalb
ich nun am Rechner sitze und ein paar Zeilen zum CSD 2012 schreibe.
Und zu seinem Vorgänger. Vor vierzig Jahren, im April 1972, wagte
Rainer Barzel ein Misstrauensvotum gegen Willy Brandt und Rainer Plein
ein Misstrauensvotum gegen verbohrte Heterosexuelle. Bekanntlich scheiterte
Barzel. Plein hingegen scheiterte nicht. Deutschland erlebte seine erste
Homo-Demonstration, und diese fand in Münster statt.
Allerdings
konstatiere ich schon seit Jahren das Fehlen einer g'scheiten Erinnerungskultur.
Mehr noch: ich halte Münster für eine Stadt mit einem mangelnden
Geschichtsbewusstsein. Das trifft natürlich auch für die Deutschen
in ihrer Mehrheit zu. Man muss schon dankbar sein, dass es gelungen ist,
die Erinnerung an die Grauen der Nazizeit den Deutschen zu vermitteln.
Tatsächlich, das ist gelungen.
Natürlich
sind die Schwulen und Lesben Münsters keinen Deut besser. Vierzig
Jahre erste deutsche Schwulen-Demo in Münster: das wäre eine
wunderbare Gelegenheit gewesen, um richtig auf die Pauke zu hauen. Dazu
ist es in der Westfalenmetropole nicht gekommen. Das KCM etwa als selbsternanntes
Schwulenzentrum machte gar nichts.
Immerhin
gab es das Schwulenreferat der Uni Münster, die Grünen und
den WDR. Das Schwulenreferat brachte eine kleine Ausstellung nebst Vortrag
auf die Beine. Beides fand im Fürstenberghaus statt. Die Ausstellung
wurde im Eingangsbereich der alten Klappe postiert, war also besonders
gelungen positioniert; ob sich die Macher dieser Feinheit bewusst waren,
kann ich allerdings nicht sagen. Aus Düsseldorf kam Arndt Klocke,
aus Münster Josefine Paul: beide eint nicht nur ihre Mitgliedschaft
bei den Grünen, sondern auch im Landtag. Vom selbsternannten Schwulenzentrum
wurde beim Vortrag von mir niemand gesichtet, nicht als Redner, nicht als
Zuhörer. Das Fehlen war schon peinlich, ein Erscheinen wäre nicht
minder peinlich geworden, denn im letzten Herbst hatte Gay & Grey das
selbsternannte Schwulenzentrum verlassen. Nach einer Kette von Skandalen
hatte die Generation, die seit den siebziger Jahren für Bürger-
und Schwulenrechte auf die Straßen gegangen war, das Maß an
Gehässigkeit nicht mehr ertragen, welches ihnen besonders aus dem
Vorstand des selbsternannten Schwulenzentrums entgegengeschlagen war. Der
Häuptling der Gruppe sprach das deutlich aus und wollte sich dabei
nicht knebeln lassen. Er ging. Mit ihm ging die Gruppe.
Passend
zum Jubiläum erinnerte der Westdeutsche Rundfunk an das Ereigniss
vor vierzig Jahren: Kategorie: Stolz auf unser Land und seine Bürger!
Auch
die Grünen machten eine Veranstaltung und holten dafür eine
Ministerin aus dem fernen Düsseldorf. Auf dieser Gedenkveranstaltung
wurde das Erreichte gefeiert, zugleich aber bestehende Diskriminierungen
festgestellt und bedauert. Da das selbsternannte Schwulenzentrum durch
komplette Abwesenheit beim Jubiläum geglänzt hatte, war man dort
der Meinung, mindestens den Grünen ihre Veranstaltung nachträglich
zu versauen. Der Vorstand ließ erklären, er wisse nicht was
die Grünen mit dem Ereignis zu tun hätten, zumal jede rechtliche
Diskriminierung längst aufgehoben sei.
Hups,
das war ein klassisches Eigentor. Da hatte man die Grünen mal
so richtig vorführen wollen, am Ende aber sich selbst blamiert. Hohn
und Spott ergossen sich angesichts dieser Unverschämtheit über
das selbsternannte Schwulenzentrum. Neunzehn Gruppen distanzierten sich
öffentlich von dem Blödsinn dieser Herren, die glaubten, sie
hätten das Format, mal eben so die Grünen vorzuführen.
Wenn
man bedenkt, dass sich durch ein Urteil auf europäischer Ebene
zum Inzest die Situation für sexuelle Minderheiten nicht gebessert
hat, wird deutlich, wie gefährlich dieser Unfug aus unberufenen Munde
ist. Die europäische Justiz gestattet dem Staat, Inzest weiter zu
kriminalisieren, aus Gründen der Moral natürlich. Was hat das
mit den Schwulen und Lesben zu tun? Der Staat bekommt das "Recht" bestätigt,
erwachsene Personen zu kriminalisieren, die einvernehmlich Sex miteinander
haben. Wer Inzest kriminalisieren darf, darf auch Homosexualität kriminalisieren,
im Namen einer Moral. Selbstbestimmungsrecht? Abgetreten an den Staat und
die Moral der Mächtigen.
Trotzdem
war der CSD 2012 in Münster wieder eine schöne runde Sache.
Mit dem Motto "Gayfällt mir" trat man an. Das große Jubiläum
taugte also nicht als Aufhänger für den CSD in Münster.
Die Jugend stand im Mittelpunkt, nicht die Alten. Außerdem gilt ja
noch: Das Auge isst mit.
Zuletzt
überraschten die warmen Deutschen mit einer Neuerung, die für
edle Deutsche so neu nicht ist. Es gibt jetzt auch eine CSD-NRW-Fahne.
Die Deutschen und ihre Fahnen: eine unendliche Geschichte.
End-Lich
komme ich zum Schluss dieses allzu langen Sermons. Ich habe Wolfgang
schon zu Beginn des Jahres gefragt, was er denn zum Jubiläum plane.
Im übertragenen Sinn fühlte ich mich bei Wolfgangs Antwort an
Johann Jacoby erinnert, denn Wolfgang wollte an dem Tag das, was vor geraumer
Zeit als Gnade erbeten, nunmehr als Recht in Anspruch nehmen, und sich
also ... äh ... mit seinem Freund ... äh ... (bamby ist anständig)
.... fleischlich vereinigen.
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Bearbeitet am 30. Juni 2012 & 22. Juni 2013
(C) Norbert Korfmacher, 2012