Dumm gelaufen: Opfer der Justiz
Jörg Kunkel, Thomas Schuhbauer (Hrsg.): Justizirrtum! Deutschland
im Spiegel spektakulärer Fehlurteile, Campus Verlag Frankfurt a.M.
2004
Shop: Das Buch erhalten Sie bei amazon
In Deutschland erfreut sich die Justiz eines großen Ansehens. Historisch
betrachtet ist dieses Ansehen zweifelhafter Natur. Die Justiz war bis 1945
willfähriger Handlanger des Staates, in Ostdeutschland sogar bis 1989/90.
Die Autoren des Buches "Justizirrtum!" wühlen in den Fehlern der
deutschen Justiz nach 1945. Dabei rollen sie nicht die unheilvolle Verquickung
des Justizpersonals mit dem "3. Reich" auf, die Fortsetzung zweifelhafter
Karrieren in der Bundesrepublik. Allerdings: ignorieren können sie
es nicht. Ihr Thema sind die Missgriffe der Justiz, offensichtliche Fehler
der Richter, der Staatsanwälte und der Polizei. Es sind hochkarätige
Fälle, die hier untersucht und aufbereitet werden.
Der erste Fall, der geschildert wird, ist der Mord an Hermann Rohrbach
im April 1957. Schon wenige Stunden nach Auffinden des Leichentorsos wird
die Ehefrau Maria verhaftet. Trotz zahlreicher Ungereimtheiten kommt es
nach einem Jahr zum Prozess gegen die Frau. Es sind Gutachter, die vor
Gericht nachweisen, dass Maria Rohrbach ihren Mann vergiften wollte und
ihn schließlich umgebracht hat. Mehr noch: sie soll den Kopf ihres
Mannes im Ofen verbrannt haben. Ein voreingenommener Richter, überhebliche
Gutachter, bedenkliche Ermittlungen: alles das führt zur Verurteilung
der Frau zu lebenslangem Zuchthaus. Dumm gelaufen für die Justiz und
ihre Gutachter, als der Kopf später auftaucht. Im Wiederaufnahmeverfahren
kann die Schuld der Maria Rohrbach nicht festgestellt werden, es folgt
ein zweitklassiger Freispruch. Autor Manfred Uhlig präsentiert sogar
einen möglichen Tathergang. Seine Version ist gut durchdacht, einiges
spricht dafür, belegbar ist sie nicht. Uhlig setzt einem Mann ein
Denkmal, der bis heute noch keines bekommen hat: dem Rechtsanwalt Fritz
Gross aus Münster.
Der wird auch in dem Beitrag von Gunther Scholz gewürdigt. Gross
war ein Opfer der Prüderie in der Adenauer-Zeit. Eine Scheidung machte
ihn als Staatsanwalt für seine Kollegen im Justizdienst unmöglich,
er wechselte die Seiten und wurde Rechtsanwalt. Seine Widersacher waren
deutschtümelnde oder katholische Justizbeamte, die ihre Karrieren
nach 1945 ungestört fortsetzen konnten. Auch im Fall Hans Hetzel geht
es wie bei Maria Rohrbach um sexuelle Freizügigkeit, die so gar nicht
in die Zeit der fünfziger Jahre passt. Auch hier spreizt sich ein
Gutachter (der auch später im Fall Rohrbach unheivoll wirken sollte),
ein voreingenommener Richter rundet das Bild ab. Wieder ist es Fritz Gross,
der Ermittlungsfehler der Polizei im Revisionsverfahren bloßlegt
und einen Gutachter demaskiert. Vierzehn Jahre musste das Opfer dieser
Fehler in Haft verbringen. Fritz Gross holte ihn aus seinem Elend.
Ein anderer Großer war Heinrich Hannover, der sich auch in politischen
Fällen profilierte. Hans-Dieter Otto greift einen Sittenfall auf,
in dem es um einen Mord an einem Bahndamm ging.
Oder Raymond Ley. Er stellt den Fall der Eva Maria Mariotti vor, die
wegen eines Mordes in der Nachkriegszeit in den sechziger Jahren belangt
werden soll. Der erste Prozess wird abgebrochen, im zweiten Verfahren wird
die schillernde Angeklagte verurteilt wegen widersprüchlicher Aussagen
eines Mittäters. Im Zweifel für den Angeklagten? Nicht hier.
Erst das Revisionsverfahren bringt Klarheit und später die höchstrichterliche
Erkenntnis, dass eine Person unter Anklage schweigen darf. Es ist Sache
der Anklage, die Tat lückenlos zu beweisen, nicht Sache des Angeklagten,
die Unschuld zu beweisen.
Abgerundet wird die Fall-Sammlung von Wolfgang Kreuter über den
Irrsinn der Stasi in der DDR und die Justiz im Dienste der Staatspartei
und von Olaf Lorch über ein laufendes Verfahren, in dem um Schuld
oder Unschuld eines Beklagten gestritten wird.
Vier der hier genannten Fälle waren Gegenstand einer TV-Dokumentation-Reihe,
die im Januar 2005 in der ARD erstmals ausgestrahlt wurde. Das Buch liefert
Hindergründe und Fakten, die die Autoren in der Kürze der Zeit
(eben 45 Minuten) nicht voll ausbreiten konnten. Wer es also genauer wissen
will, der bekommt es hier genauer.
Zurück zur Übersicht über
die Rezensionen
Zur bamby-Startseite
Bearbeitet am 23. Februar 2005
(C) des Textes: Norbert Korfmacher