Recht und Gerechtigkeit, Vater und Sohn

Der Fall Maurizius. Nach dem Roman von Jakob Wassermann, Regie: Theodor Kotulla. 2 DVDs, Aviator Entertainment Hamburg 2008
 

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Man muss es immer wieder hervorheben: Wer sich auf Fernseh-Mehrteiler aus der Zeit des Duopols von ARD & ZDF einläßt, braucht einen langen Atem. Das trifft bei diesem Fünfteiler zu. Heutige Regisseure würden diese Geschichte mit Tempo in 90 Minuten herunterreißen.
1981 war das anders. Theodor Kotulla nahm sich Zeit. Die ersten zehn Minuten dieser Verfilmung verwendet er etwa, um Etzel von Andergast, den pubertierenden Protagonisten vorzustellen. Der lebt 1928 mit anderen Knaben in einem Internat. Bei einem jüdischen Kameraden werden obszöne Bilder gefunden. Etzel stellt fest, dass man diese Bilder dem Schüler untergeschoben hat. Die ganze Szenerie ist angeschwult, halb bekleidete Bengel tummeln sich im Schlafsaal, die Bilder der nackten Frauen werden genau gezeigt. Der Regisseur schafft gleich zu Anfang Athmosphäre. Die schafft er, indem er sich Zeit nimmt. Die Zeit braucht er, um einen alten Mordfall aufzurollen. 1910 wurde Leonhart Maurizius wegen Mordes an seiner Frau verurteilt. Ankläger war Staatsanwalt Wolf von Andergast, Etzels Vater. Als der Sohn mit dem alten Fall konfrontiert wird und eigene Recherchen anstellt, sieht sich der Staatsbeamte genötigt, Maurizius im Zuchthaus aufzusuchen und mit ihm den Fall durchzusprechen. Schnell wird klar, dass der Indizienprozess von einst mit einem Fehlurteil endete. Vater und Sohn Andergast kommen zum gleichen Schluss, aber wo der Sohn Gerechtigkeit fordert, gewährt der Vater mit Hilfe der Justiz nur Gnade.
Es gibt viele Konflikte, die in sieben Stunden bewältigt werden. Der Staatsanwalt gegen einen Unschuldigen, der Vater gegen den Sohn, der Ehemann gegen die Ehefrau und ihren Liebhaber, ein Teenager gegen einen Lehrer, Schwester gegen Schwester. Das alles wird akribisch aufgedröselt und im Bild dargestellt. Etzel schreibt - und der Regisseur zeigt es. Der Vater zündet sich eine Zigarre an - und der Regisseur zeigt es. Der Staatsanwalt inspiziert das Zuchthaus - und der Regisseur zeigt es. Überflüssig ist das nicht, im Gegenteil. Es ist nötig, um den Hauptfiguren Konturen zu verleihen.
Am Ende wird das Knäuel säuberlich auseinander gefummelt. Gewinner gibt es in diesem Spiel nicht. Das Ende, die Konfrontation zwischen Vater und Sohn, ließ mir den Atem stocken.
Fazit: Es gibt gute Gründe, für heutige Regisseure, ihre Geschichten flott und mit Tempo zu erzählen. Umso dankbarer wollen wir sein, dass es früher bessere Gründe gab, sich für eine Geschichte Zeit zu lassen.

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Bearbeitet am 22. Juni 2008

(C) des Textes: Norbert Korfmacher