Die Pointe

CD: Wolfgang Herrndorf: tschick. Hörbuch, gelesen von Hanno Koffler. Argon Verlag GmbH, Berlin 2012

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Markus, mein Kollege, hatte mir im vergangenen Jahr von tschick vorgeschwärmt, dem Jugendbuch von Wolfgang Herrndorf, dessen Erfolg der Dichter noch vor seinem Tod erlebte.

Der vierzehnjährige Maik stammt aus einem vorzeigbaren Elternhaus in Marzahn. Nun ja, so ganz vorzeigbar ist es nicht, denn als er im Deutschunterricht Einzelheiten seines Familienelends zum besten gibt, hat er zeitweilig den Spitznamen Psycho weg: seine Mutter säuft, der Vater hat das Geschäft der Familie an die Wand gefahren und pimpert mit einer jüngeren Frau. Alles nicht schön. In der Schule ist Maik ein Außenseiter. Als seine Flamme ihn nicht zu ihrem Geburtstag einlädt, ist Maik tief enttäuscht. Gäbe es da nicht den Deutschrussen Andrej Tschichatschow, kurz Tschick genannt. Der taucht zu Beginn der Sommerferien mit einem geklauten Auto bei ihm auf, schleppt Maik zur Geburtstagsfeier seiner Flamme und lässt ihn dort kurz ein Präsent überreichen, und dann begeben sich die zwei pubertierenden Jungs mit dem Lada auf eine Tour durch Brandenburg, ganz ohne Karten oder Navi. Sie landen bei einer merkwürdigen Familie, die mich an den Clan aus "Das Haus in Montevideo" von Curt Goetz erinnerte ("Lohengrin popelt."), nur dass hier die Mutter das Sagen hat und Wissen abfragt. Auf einer Müllkippe treffen sie Isa, die sich für Maik interessiert und wissen will, ob er schon gefickt hat; zuvor hatte ihn schon Tschick gefragt, ob er schwul sei: hat er nicht, ist er nicht, aber immerhin verrät Maik als Ich-Erzähler, dass er im Verlauf der Handlung darüber nachgedacht hat, schwul zu werden. Sie werden von einem alten Mann beschossen, der ihnen Lebensweisheiten mitgibt. Nach einem Unfall hilft ihnen eine dicke Sprachtherapeutin, sie landen im Krankenhaus, brechen aus der sterilen Ordnung aus und verursachen mit ihrem Auto einen schweren Unfall auf der Autobahn. Nun greift die Polizei ein. Die beiden Lümmel werden getrennt, Maik kehrt zu seinem tobenden Vater zurück, Tschick kommt in ein Heim für Schwererziehbare (nach "Freistatt" im Kreis Diepholz hatte ich gehofft, nie wieder mit so etwas konfrontiert zu werden, aber hey: dies ist Deutschland). Vor dem Jugendgericht bekennt sich Maik zu seinen Taten, Tschick aber übernimmt die "Schuld". Zurück in der Schule steigt Maiks Ansehen, ohne dass er noch etwas machen muss.

So weit so gut. Dass sich das Buch zu einem Renner bei Jugendlichen entwickelt hat, überrascht nicht, auch nicht, dass Schulen das Buch dankbar aufgreifen und im Unterricht verwursten (ob sie damit dem Buch nicht eher schaden, steht auf einem anderen Blatt). Das Werk steht in der Tradition von "Tom Sawyer" oder "Moritz, lieber Moritz". Es ist packend und unterhaltsam, auch für das gesetztere Publikum wie mich. Die Pointe, die zum Schluss kam, hatte mir Markus übrigens nicht verraten: für ihn war und ist sie bedeutungslos, für mich existenziell. Die Geschichte, vor sechs Jahren von Hanno Koffler als Hörbuch eingelesen, kommt auf den vier CDs perfekt rüber.
 

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Bearbeitet am 10. Januar 2018

(C) des Textes: Norbert Korfmacher