8. 11. 2004
1. Neubeginn auf Russisch
Berlin 1951. Die Stadt liegt in noch Trümmern. In Ost-Berlin feiert
die Jugend. Irene Geismeier fährt mit dem Zug in die Stadt. Sie ist
begeistertes FDJ-Mitglied, beseelt vom Glauben, nach den Schrecken des
Krieges ein neues, friedliches Deutschland aufzubauen. Sie hat das Agitieren
geübt, will in den kommenden Tagen Jugendliche im Westen Berlins von
den Segnungen des Sozialismus überzeugen. Doch dort trifft sie eine
ältere Dame, die ihr, dem Mädchen aus der "Zone", ein Stück
Schokolade gibt. Als das kostbare Geschenk vom "Klassenfeind" zu schmelzen
droht, beißt sie hinein. "Die politische Botschaft wurde gegen Schokolade
eingewechselt", erinnert sich Irene Geismeier noch heute an dieses Schlüsselerlebnis
ihrer Jugend.
Deutschland in den 50-ern. Das heißt kalter Krieg, ein geteiltes
Land, dessen Teile sich politisch und ökonomisch rasant auseinander
entwickeln. Was die Menschen in Ost und West eint, ist der Wille zum Wiederaufbau,
die Suche nach dem privaten Neuanfang nach den Abgründen der Vergangenheit.
Neubeginn - politisch heißt das im Osten Aufbau des Sozialismus nach
sowjetischem Vorbild. "Mit einem albernen Luftgewehr" habe er vor einem
Stalin-Porträt Totenwache gehalten, erinnert sich Johannes Decker.
Der sowjetische Übervater ist gestorben, die DDR trauert, und es werden
noch Jahre vergehen, bis das Land aus dem langen Schatten des Diktators
tritt. Deckert schuftet in der Wismut im Erzgebirge, schürft nach
Erz für die Atombombe, wird von den russischen Vorgesetzten in den
Schacht geschickt, obwohl das lebensgefährlich ist. Nichts geht ohne
den großen Bruder, der am 17. Juni 1953 sogar die Panzer rollen lässt,
um den Volksaufstand zu unterdrücken.
Ende der 50-er bietet die DDR ein zwiespältiges Bild. Bescheidener
Wohlstand - ja. Aber auch eine nicht enden wollende Massenflucht in den
Westen. Vor allem Bauern packen die Koffer, sehen nach einer weiteren Welle
von Zwangskollektivierungen keine Zukunft. Detlef Gosselck zieht als FDJ-Agitator
über das Land, er sieht Bilder, die er bis heute nicht vergessen hat.
In zwei Dörfern haben sich Bauern erhängt, ein anderer ist "ins
Wasser gegangen". Erst der Bau der Mauer im August 1961 beendet dieses
Kapitel der DDR-Geschichte.
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Bearbeitet am 16. November 2004