Damals in der DDR

29. 11. 2004

4. Partei ohne Volk
Der 1. Mai, irgendwann Anfang der 80er. Kampftag der Werktätigen. Im ganzen Land mobilisiert die SED die Menschen, überall Umzüge, Fahnen, Reden. Inge Hoerenz ist die Frau des Leuchtturmwächters auf Hiddensee. Und sie soll erstmals die offizielle Rede bei der Maikundgebung halten. Sie ist aufgeregt, zerbricht sich lange den Kopf, arbeitet am Manuskript. Dann aber kommt die Vorlage von der zuständigen SED-Kreisleitung: selbst in den entlegensten Winkel der DDR dringen die Argumente der Parteiführung von der planmäßigen Weiterentwicklung des Sozialismus. - Die SED. Sie durchdringt alle Bereiche der Gesellschaft. Schon die ganz Kleinen sind als Pioniere organisiert, sollen als allseitig gebildete sozialistische Persönlichkeiten heranreifen. Dann geht es in die FDJ, die Jugendorganisation der Partei. Wer was werden will im Staate DDR, wird SED-Mitglied - mehr als zwei Millionen tragen das Parteiabzeichen, im Volksmund Bonbon genannt. Überall hat die SED Funktionäre, die agitieren. Siegfried Rheiss arbeitet bei der Kreisleitung Gotha. Anfang 1982. Mal wieder ist die Versorgungslage im Land schlecht. Es gibt kein Fleisch. Die SED schickt ihn in die Betriebe. "Ja, wir haben gesagt, wir mussten das Fleisch exportieren, und dann gab es eine Schweinepest. Da ist irgendwas erfunden worden. Man hat sich auch manchmal ganz schön schlecht gefühlt. Es hat keinen Spaß gemacht." - Zum Symbol der Unterdrückung wird die Staatssicherheit, Schild und Schwert der Partei. Sie hat in deren Auftrag die Gesellschaft mit einem Netz von Spitzeln durchsetzt, beobachtet jede oppositionelle Regung. Wer einen Ausreiseantrag stellt, gerät in ihre Mühlen. Die Stasi - wirksamstes Instrument der Partei, um das Volk zu unterdrücken. - Doch dieses läuft der Partei Ende der 80er davon. Die marode Wirtschaft, die katastrophale Umwelt, die unterdrückte Freiheit - Triebkräfte für Hunderttausende, sich von der alles beherrschenden Partei abzuwenden und nach neuen Wegen zu suchen. Als die Besetzer der bundesdeutschen Botschaft in Prag ausreisen dürfen, fahren die Sonderzüge durch Dresden. Hier kommt es zu Gewalt, die Polizei geht massiv gegen Demonstranten vor. In dieser Situation kommen dem jungen Offiziersschüler Karl-Heinz "Karli" Reiche Zweifel, ob er auf der richtigen Seite steht, für wen er eigentlich den Kopf hinhält. "Da kam eine junge Frau mit einem jungen Mann, Arm in Arm, und als sie uns sah, hat sie angefangen zu weinen und hat zu ihrem Freund gesagt: Ich kann diese Schweine nicht mehr sehen. Und das kam richtig von innen. Und das ging mir richtig in den Magen, aha, so sehen sie dich jetzt."
Der Rest ist Geschichte, Weltgeschichte: Montagsdemonstrationen, der Rücktritt Honeckers, der Fall der Mauer. Oft erzählt. Immer wieder ergreifend.

Weiter zur nächsten Episode
Zurück zur Episodenübersicht

Bearbeitet am 16. November 2004 & 18. Oktober 2005