20. 9. 2005
4. Erich und die Mauer
"Das Volk steht hinter der Partei", konstatierte Erich Honecker zufrieden,
als er im Oktober 1989 die Parade der "Freien Deutschen Jugend" zum 40.
Geburtstag der DDR abnahm. Wenige Tage später war er gestürzt,
davongejagt von dem Volk, dem er Jahrzehnte lang das Recht auf Selbstbestimmung
abgesprochen hatte.
Vierzig Jahre lang prägte Erich Honecker, Bergarbeitersohn aus
dem saarländischen Neunkirchen, die Geschichte der DDR. Im Oktober
1949 wurde er Chef des Jugendverbands FDJ und organisierte den Fackelzug
der Jugend zur Staatsgründung der DDR. Es folgten Jahrzehnte unaufhaltsamen
Aufstiegs. 1961 war Honecker "Sekretär für Sicherheitsfragen"
im Politbüro und damit der zweitmächtigste Mann im Staat. Es
war Erich Honecker, der 1961 den Bau der Mauer organisierte. "Wir trauten
unseren Augen nicht", erzählt Doris Mohnstein, "da erschienen plötzlich
Maurerbrigaden und Grenztruppen und zogen die Mauer hoch". Von diesem Tag
an war Doris Mohnstein von ihrer Schwester und ihrer Mutter getrennt. Erst
acht Jahre später kam es zu einem Wiedersehen: für 10 Minuten
aus der Entfernung. Die Mauer war Erich Honeckers "Gesellenstück".
1400 km lang. Jeder Kilometer Todesstreifen kostete die ewig kränkelnde
DDR-Wirtschaft mindestens eine Million DDR-Mark. Zeit seines Lebens verteidigte
Honecker die Mauer allen Ernstes als "antifaschistischen Schutzwall". Dabei
war sie die Begrenzung eines Zwangsstaates DDR, den zu verlassen tödlich
enden konnte. An Weihnachten 1983 versuchte der Berliner Silvio Proksch
die Flucht und wurde von Grenzern erschossen. Erst nach der Wende erfuhr
seine Familie, dass Silvio Proksch an der Mauer verblutet war. Er war eines
von etwa 1000 Todesopfern an der Mauer.
Doch alle Mauern und Beschränkungen konnten nicht verhindern,
dass die DDR auf Dauer zu Grunde gehen musste. Ohne Milliardenkredite aus
der Bundesrepublik war sie in den 80er Jahren nicht mehr lebensfähig.
Da die Schuldentilgung einen Großteil des Staatshaushalts auffraß,
konnte kaum noch investiert werden. Die Städte verfielen, die Umwelt
war zunehmend ruiniert. Der Berliner Siegbert Schefke dokumentierte den
Niedergang mit seiner Videokamera und schmuggelte die Bilder über
Kuriere in den Westen. Mit ungeahnten Konsequenzen. Als "Staatsfeind" wurde
ihm die Ausreise nahe gelegt. Hunderttausende wollten in diesen Jahren
nichts lieber als das Land verlassen und suchten nach Schlupflöchern
im Eisernen Vorhang. Nicht so Siegbert Schefke. Er weigerte sich zu gehen,
dokumentierte mit seiner Kamera die Leipziger Montagsdemonstrationen und
hielt so die friedliche Revolution der DDR-Bürger im Bild fest. Erich
Honecker wollte bis zuletzt nicht sehen, dass seine Zeit abgelaufen war.
Die Mauer hat seine Amtzeit nur kurz überdauert. Nach seinem Sturz
am 18. Oktober dauerte es nur noch drei Wochen, bis seine Nachfolger sich
dem Druck von unten beugen mussten und die Grenzen öffnete.
Die Dokumentation verknüpft das Psychogramm des Staats- und Parteischefs
mit Lebensgeschichten aus dem Mauerstaat - Geschichten von Angepassten
und Oppositionellen, von Grenzsoldaten und Maueropfern, Politbürokraten
und Montagsdemonstranten. Zu Wort kommen auch prominente Zeitzeugen wie
Michail Gorbatschow, Hans Modrow, Wolfgang Schäuble und Günter
Schabowski.
Bearbeitet am 18. Oktober 2005