24. 10. 2005
1. Tödliche Keime
Die Geburt war nie ein Kinderspiel. Noch bis zu Beginn des 18.Jahrhunderts
starb jeder dritte von zehn Säuglingen in den ersten Wochen, oft wurden
sie zeitgleich mit ihren Müttern begraben. Vor allem in den großen
Universitätskrankenhäusern Universitätskrankenhäusern
fielen die Frauen massenhaft rätselhaften Infektionen zum Opfer. Der
erste Mediziner, der das Kindbettfieber nicht als "gottgegeben" akzeptierte,
war 1846 Ignaz Semmelweis in Wien. Als sich ein Kollege in der Pathologie
mit einem Seziermesser leicht verletzte und daran qualvoll starb, fand
er die Ursache für den Tod der Wöchnerinnen: Sie wurden während
der Untersuchung durch die Mediziner infiziert, die zuvor Leichen obduziert
hatten. Der Tod klebte an den Händen der Ärzte. Semmelweis wies
die Kollegen an, sich die Hände mit Chlorkalklösung zu waschen
- mit Erfolg: Die simple Desinfektionsmaßnahme bewahrte Hunderttausende
Frauen vor dem Kindbettfieber. Schutz vor Infektionen! Entscheidend in
dieser großen Erfolgsgeschichte der Medizin ist - neben der Hygiene
- die Entdeckung der Immunisierung. Als ihr Begründer gilt ein einfacher
englischer Landarzt: Dr. Edward Jenner, der Bezwinger der Pocken. Ende
des 18. Jahrhunderts beobachtete er, dass Melkerinnen, die bereits an harmlosen
Kuhpocken gelitten hatten, sich nicht mit der tödlichen Krankheit
ansteckten. Darum wagte Jenner 1796 einen riskanten Versuch: Er infizierte
einen Bauernjungen erst mit der Absonderung aus den harmlosen Kuhpocken
einer Melkerin und sechs Wochen später mit Variola Vera, dem Pockensekret
eines Todkranken. Das beispiellose Experiment gelang: Der Junge blieb gesund,
die Schutzimpfung hatte ihn gegen die Pocken immunisiert. Edward Jenners
Gartenhaus in der englischen Provinz wurde zur ersten Impfstation der Geschichte.
Allerdings: Jenner wusste weder, wie sein Impfstoff wirkte, noch kannte
er den Erreger. Die Welt der Mikroben war noch nicht entdeckt. Und es sollte
noch rund 50 Jahre dauern, bis sie Louis Pasteur in Paris unter das Mikroskop
nahm. Bei Forschungen für die Alkoholindustrie fand er heraus, dass
Hefebakterien Rübensaft zu Schnaps vergären, Essigbakterien ihn
aber ungenießbar machen. "Wenn Bakterien Alkohol verderben", fragte
sich Pasteur,"können sie dann nicht auch den Menschen krank machen"?
Mit dieser Frage im Kopf widmete er sich der Erforschung der Tollwut und
entwickelte einen Impfstoff aus dem Rückenmark tollwütiger Kaninchen.1885
testete er ihn erstmalig an einem Menschen. Das Ergebnis war eine Weltsensation:
Joseph Meister, ein 14-jähriger Junge, den ein tollwütiger Hund
14 Mal gebissen hatte, wurde wieder gesund. Die Krankheit war besiegt.
Schon drei Jahre zuvor untersuchte Pasteurs Freund Robert Koch in Berlin
die Keime der Lungentuberkulose. Doch wie sich zeigen sollte, können
zwischen Krankheitsbestimmung und Therapie Jahrzehnte liegen: Erst ganze
61 Jahre nach Kochs Erforschung der tödlichen "Armeleutekrankheit"
- zwischenzeitlich half die Entdeckung der "X-Strahlen" durch den Physiker
Wilhelm Conrad Röntgen sie besser zu diagnostizieren - gelang es in
den USA, ein Antibiotikum herzustellen, mit dem die "Schwindsucht" ausgerottet
werden konnte.
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Bearbeitet am 30. Dezember 2005