12. 5. 2005
4. Nachspiel - Die Täuschung
Die begleitende Dokumentation erzählt die Lebensgeschichte Albert
Speers dort weiter, wo das dreiteilige Filmprojekt endet: am Gefängnistor
von Spandau, dem Tag der Haftentlassung des Hauptkriegsverbrechers am 1.
September 1966. In Gesprächen mit Speers Kindern, Biografen, Zeitzeugen
und Historikern wird der Versuch unternommen, die Selbsttäuschung
und Konstruktion von Lügen und Legenden Speers nachzuzeichnen. Wie
war es möglich, dass einer der einflussreichsten Mittäter Hitlers
mit einem Bestseller in der Bundesrepublik so viel freundliche Zuwendung,
Aufmerksamkeit und Einfluss auf die Geschichtsschreibung gewinnen konnte?
Am 1. September 1966, 24.00 Uhr, wird der ehemalige Architekt und Reichsminister
für Bewaffnung und Munition nach 20 Jahren Haft entlassen. Vor dem
Spandauer Gefängnistor wartet seine Frau Margarete Speer, die ihre
sechs Kinder alleine großgezogen hatte. Nach der Entlassung zeigte
sich bei einem Familientreffen, dass die aus dem Gefängnis herbei-dirigierte
Nähe mit der Familie dem Alltag nicht standhält. Das Treffen
offenbart die Entfremdung. Sein Sohn Albert, der nach zwei Tagen vor der
Familienzusammenführung flüchtet, sagt: "Jeder war gehemmt. Es
war Stress!" Der Mann, der Adolf Hitler aus nächster Nähe erlebt
hat, einer der mächtigsten Männer des Dritten Reichs, wird seine
Erinnerungen schreiben. Jeden Schritt zum Bestseller-Erfolg hatte Speer
aus seiner Zelle heraus vorbereitet. Etwa 20.000 Blatt Papier waren als
Kassiber aus dem Gefängnis zu seinem Freund Rudolf Wolters geschmuggelt
worden. Als Architekt und Rüstungsminister war er gescheitert. Nun
will er sich mit seiner Autobiografie in das Buch der Geschichte einschreiben.
Diese Rechnung ist aufgegangen: Albert Speer veröffentlicht 1969 seine
"Erinnerungen". 1975 folgen die "Spandauer Tagebücher". Beide Bücher
werden Welterfolge, die Speer zu einem reichen Mann machen. Sein Freund
Rudolf Wolters, der für ihn während der Haft mit einem eigenen
Büro in Coesfeld die Geschäfte geführt hatte, wurde zum
"Coburger Freund" anonymisiert. Friederich Wolters, der Sohn, blättert
im Gespräch mit Heinrich Breloer die Geschichte dieser seltsamen Freundschaft
auf. Mit dem Verleger Jobst Siedler, der den jungen Joachim Fest als Lektor
ins Spiel brachte, hatte Speer sein Team für den internationalen Erfolg
gefunden. Wolf Jobst Siedler berichtet, wie er Albert Speer selber die
Sympathie der Leser erklärte: "Sie sind der Engel, der aus der Hölle
kam". Seine Rolle als "Entlastungsnazi" war deshalb so erfolgreich, weil
viele sich sagten: wenn der von den Verbrechen der Nazis nichts gewusst
hat, mussten wir es auch nicht wissen. Seine scheinbar bußfertige
Formel "Ich hätte wissen können, wenn ich gewollt hätte".
Sein Versäumnis und seine Schuld waren es, nur weggesehen zu haben.
Mit dieser Konstruktion ist er angekommen. Auch Speer-Biograf Joachim Fest
zeigt sich im Interview nachdenklich über die Leerstellen in Speers
Autobiografie. Joachim Fest räumt ein, dass Albert Speer ihm und seinem
Verleger trotz eindringlicher Befragung nicht immer die Wahrheit gesagt
hat. In einer Montage des frühen Fernsehinterviews von Fest aus dem
Jahr 1968 und der Recherche kann sich der Zuschauer selber ein Bild von
der Erinnerungsarbeit des ehemaligen Reichsministers für Rüstung
und Munition machen. 1980 gibt Rudolf Wolters dem jungen Historiker Matthias
Schmidt zum ersten Mal Hinweise auf Fälschungen in Speers Chronik
und lässt ihn Originaldokumente lesen. Es wird offenbar, dass Speer
an der Vertreibung der Berliner Juden einen maßgeblichen Anteil hatte.
In seinem Buch "Albert Speer - Das Ende eines Mythos" kann Schmidt weitere
von Speer ausgeblendeten schmerzhaften Wahrheiten seines Lebens veröffentlichen.
Dieser erste große Versuch, sich mit den Lügen und Legenden
Albert Speers auseinander zu setzen, erreicht den Bestsellerautor nicht
mehr. In den letzten Lebensjahren verliebte sich Speer in eine junge Frau,
die ihn bewunderte. Im September 1981 brach Albert Speer auf einer Interviewreise
in London in seinem Hotelzimmer bewusstlos zusammen. Seine Freundin alarmierte
den Arzt. Einige Stunden später verstarb Speer im Krankenhaus an den
Folgen eines Schlaganfalls.
Bild: ARD
Bearbeitet am 29. Juni 2005