China

22. 3. 2006

Kamera: Mitchell Farkas

1. Speisen des Himmels
Von den wirbelnden Woks in Kanton durch die spektakuläre Mondlandschaft des zentralchinesischen Lössberglandes über die verseuchten Flüsse und wachsenden Wüsten bis hinein in die fruchtbare Ebene von Sichuan. In Künstlerateliers und Anwaltskanzleien, auf Nachtmärkten und Gemüsebörsen, in Garküchen, Nobelrestaurants und am weltgrößten Umschlagplatz für traditionelle Heilkräuter haben sie immer wieder dieses alte, chinesische Sprichwort gehört: "Dem Volk ist das Essen der Himmel." Aber während eine kleine, neue Elite sich immer himmlischer ernähren kann, wird vielen anderen brutal ihre Lebensgrundlage genommen. Das Team begleitet den Pekinger Anwalt Wang Canfa auf einer dramatischen Dienstreise in die Provinz Anhui, wo Fischer auf seine Hilfe hoffen. Eine Lederfabrik leitet ungeklärte Abwässer in den Guo-Fluss, der nur noch eine toxische Suppe ist. Kein Fisch kann darin mehr leben, die Fischer verarmen und werden krank. Aber wie so oft stecken die Verschmutzer mit den Behörden unter eine Decke, und der Anwalt muss auf eigene Faust Beweise suchen. "Die Leute hier werden kaputt gemacht", grollt der Jurist. "Aber China ist eben noch kein Rechtsstaat." - "Wenn China seine Umweltprobleme nicht in den Griff bekommt, dann nützt uns das Wirtschaftswunder gar nichts", wettert der Chef der Umweltbehörde, Pan Yue. In einer für Pekinger Politiker unerhörten Offenheit sagt er den Reportern: "Wenn das so weitergeht, sind wir alle erledigt." Trotz seiner Umweltsorgen exportiert China aber auch Lebensmittel, und zwar in großem Stil: In nur wenigen Jahren hat das Land den Weltmarkt für Äpfel quasi übernommen und die Konkurrenz verdrängt. Auch der Saft in unseren Regalen kommt zum Teil heute schon aus China. Dank einer von den Japanern abgeschauten Technik sind Chinas Äpfel unschlagbar: Jeder einzelne Apfel wird aufwändig in Wachspapier eingewickelt. "Probieren Sie nur - meine Äpfel sind die besten", freut sich Chefarzt Dr. Xu im Städtchen Luochuan. Der Mediziner hat vor ein paar Jahren seine Lebensersparnisse in 3000 Apfelbäume gesteckt und verdient auf dem Obstmarkt inzwischen mehr als in der Klinik. - Essen ist Kult in China: und Kunst. Und neuerdings auch Entertainment: Wenn TV-Meisterkoch Johnson Wong in Guangzhou den Wok schwingt und dabei singt und tanzt, bleibt kein Auge trocken. Ständig muss er neue Leckerbissen für seine anspruchsvolle Kundschaft ersinnen: "Am liebsten etwas Sonderbares", schmunzelt er. "Bohnen mit Bienen. Wenn man sie nicht schnell verspeist, fliegen sie weg." Für den Maler Li Jin aus Tianjin ist das traditionelle Essen Chinas größter kultureller Schatz. "Schon im Altertum bemaß sich der Reichtum eines Mannes nach den Speisen, die er zu sich nahm." Von köstlichen Speisen kann das Ehepaar Gao nur träumen. Während ihr Volk inzwischen Menschen ins Weltall schießt, leben sie in ihrem Höhlendorf im Lössbergland in absoluter Armut - so wie immer noch 85 Millionen Chinesen. Bei ihnen gibt es jeden Tag Nudelsuppe, nur manchmal ein bisschen Fleisch dazu. "Das ist aber schon viel besser als früher", sagt Herr Gao. "Da gab es jahrelang nur Grassuppe." Und schon muss seine Frau wieder aufbrechen zum Wasserholen - mit dem Maultier eine Stunde beschwerlicher Abstieg hinunter in die Schlucht, wo sie das Trinkwasser aus einer traurigen Wasserpfütze schöpft. "Wenn wir das nicht hätten, würden wir verdursten", sagt sie. Wassermangel ist nicht nur für die Gaos ein Problem. Überall in Nordchina sinken die Grundwasserspiegel, dringt die Wüste vor und vernichtet wertvolles Ackerland. Ein Verlust, den sich das Riesenreich nun wirklich nicht leisten kann: China muss 20 Prozent der Weltbevölkerung ernähren mit nur 7 Prozent des weltweit verfügbaren Ackerlandes. Eine Rechnung, die sich als immer ungünstiger erweist - denn mit dem atemberaubenden Wirtschaftswachstum verschwinden immer mehr Felder unter Industriezonen und Gewerbegebieten, Straßen und Golfplätzen. - Maklerin Sophie Fan vermittelt in ihrer Heimatstadt Chengdu Grund und Boden an ausländische Investoren. Wo einst Chinas Kornkammer stand, werden heute Computerchips gefertigt. "Der Fortschritt ist wichtig für die Allgemeinheit", sagt Sophie. "Da muss man Opfer bringen, auch wenn es weh tut." Niemandem tut es aber mehr weh als den Bauern, die oft einfach von ihrem Land vertrieben werden. Aus dem ganzen Land werden immer wieder Unruhen und Aufstände gemeldet, wenn Felder unter Beton verschwinden und die Bauern mit läppischen Beträgen abgespeist werden. "Dieser ganze Aufschwung nutzt doch nur der Regierung", schimpft Bauer Zhen, der ein verlassenes Gehöft inmitten der Fabrikzone besetzt hält. "Die Mächtigen stopfen sich die Taschen voll, und wir einfachen Leute werden immer ärmer!" Viel Wut hat sich aufgestaut und viel Verzweiflung. - "Speisen des Himmels" - das bunte, dramatische Panorama eines hungrigen Landes, das seinen Platz am Tisch der Welt sucht und dem nichts so heilig ist wie seine Mahlzeit.

Bild ZDF: Der junge Li Zhifu will seinen Traum verwirklichen und Koch werden.

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Bearbeitet am ehemaligen Tag der deutschen Einheit 2006