Kriegskinder

16. 3. 2009

1. Vater muss jetzt an die Front
Die vierteilige Dokumentation "Kriegskinder" geht dem Schicksal einer ganzen Generation auf den Grund, die bislang kaum über ihre Erlebnisse gesprochen hat. Im Mittelpunkt der Filme stehen ausschließlich die Kriegskinder selbst, also jene, die aus eigenem Erleben darüber erzählen können, was mit und in ihnen geschah. Keine Draufsicht, sondern Innensicht, keine Analyse, sondern Erleben, keine Häppchen-Zitate, sondern Zuhören. Erzählerisch und optisch wird diese "Geschichte von unten" unterstützt durch die Verwendung von Familienfotos der Zeitzeugen sowie unverbrauchten Bildern aus privaten Archiven, durch Kinderzeichnungen aus der frühen Kriegszeit und Tagebuchauszüge der Volkssturmjugend und durch verhalten eingesetzte, aufwendig gedrehte kindliche Stimmungsbilder. Ganz bewusst beschränkt sich die Reihe nicht ausschließlich auf das Schicksal der 15 Millionen deutschen Kinder, sondern geht auch den Geschichten der Jüngsten in den überfallenen und besetzten Ländern nach, insbesondere denen in Polen, Frankreich, England und in der Sowjetunion. Der internationale Blickwinkel ist neu und öffnet das Erzählspektrum und den Ereignishorizont auf diese ganze europäische Generation.
Für die Kinder in Deutschland ist der Krieg zu Anfang ein Abenteuer. Vom Einmarsch in Polen erfahren sie im heimischen Wohnzimmer aus dem Volksempfänger. "Wir waren die Guten und haben doch nur zurückgeschossen, so hat Hitler das gesagt, und so haben wir es auch geglaubt", berichtet Wolfgang Pickert (Jahrgang 1930). In der Schule ist von Siegen und Heldentaten der Soldaten zu hören. Auf der Landkarte markieren die kleinen Fähnchen ein immer größer werdendes Deutschland. Nur die Großeltern und Eltern sind, zur Überraschung der kleinen Pimpfe, manchmal weit weniger begeistert. Besonders dann, wenn der Einberufungsbefehl für den Vater ankommt. "Meine Mutter saß in der Küche und weinte verzweifelt", erinnert sich Karlheinz Radatz (Jahrgang 1933), "und ich hab immer ihr Knie gestreichelt und gar nicht verstanden, warum sie so traurig ist."
In Großbritannien erfahren gleich zu Beginn hunderttausende Kinder, was es bedeutet, in Kellern zu hocken und wehrlos den Bomben ausgeliefert zu sein. Die erste großangelegte Evakuierung der gefährdeten Kinder aus den südenglischen Industriemetropolen in sichere ländliche Regionen beginnt schon im Herbst 1939 - und damit eine Trennung von den Eltern auf unbestimmte Zeit. Für die Kinder in Polen und in Frankreich ist der Krieg von Anfang an verbunden mit Terror, Gewalt und Tod. Jan Kapinski, damals zwölf Jahre alt, wird von seinen Eltern getrennt und landet mutterseelenallein im Ghetto von Krakau. Stephanie Santamaria aus dem französischen Abbevillle verliert bei einem Bombenangriff ihre Mutter und ihren linken Arm. Die Kinder in Stuttgart und Leipzig aber fiebern nach wie vor jeden Sonntag mit der Wochenschau im Kino mit, plappern von "Lebensraum" und "Untermenschen", singen "Bomben auf Engeland".

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Bearbeitet am 24. April 2009