13. 9. 2010
1. Freiheit und Auflösung
Die Bilder gingen um die Welt: Millionen von Menschen bevölkern
am Abend des 9. Novembers 1989 die Straßen Berlins, es herrscht grenzenloser
Jubel, Tränen der Freude fließen, Unbekannte umarmen einander.
Die plötzliche Öffnung der Berliner Mauer ist ein Wendepunkt
in der Geschichte des Landes und ein nie vergessenes Ereignis für
Großteile der deutschen Bevölkerung. Doch nicht allen Berlinern
sind die Feierlichkeiten an jenem Tag vergönnt, manch einer bekommt
noch nicht einmal mit, welch geschichtsträchtiges Ereignis gerade
in der Metropole stattfinden. Einer von ihnen ist Hanns-Christian Catenhusen,
der wenige Tage zuvor im brandenburgischen Beelitz seinen Grundwehrdienst
in der Nationalen Volksarmee der DDR angetreten hatte. Zusammen mit seinen
Kameraden schaut er zwar die abendliche Nachrichtensendung und sieht die
legendäre Pressekonferenz, bei der die Öffnung der innerdeutschen
Grenze bekanntgegeben wird, doch die Tragweite dieser Worte wird der Truppe
in dem Moment nicht bewusst. Erst am folgenden Tag erkennt sie die Bedeutung
- erst recht als es plötzlich heißt: "Erhöhte Gefechtsbereitschaft".
Für ihn folgen Stunden des Horrors, in denen er damit rechnen muss,
den Einsatzbefehl an die Mauer zu bekommen und sogar von seiner Waffe Gebrauch
machen zu müssen. Die Aussicht auf einen Schießbefehl löst
in ihm pure Angst aus, weswegen er rückblickend vom "schwärzesten
Tag" seines Lebens spricht. Besser ergeht es dem Großteil seiner
Landsleute: In Massen überqueren die glücklichen DDR-Bürger
in den kommenden Tagen die plötzlich geöffnete Grenze und werden
dabei von ebenso freudestrahlenden Westbürgern empfangen. Vielerorts
fließen Tränen der Freude darüber, dass auch im privaten
Bereich "zusammenwächst, was zusammengehört": Familien werden
wieder vereint und auch der länderübergreifenden Liebe sind nun
keine Grenzen mehr gesetzt. So auch im Fall der damaligen DDR-Studentin
Silke Möllmann, die sich wenige Jahre zuvor in einen Schüler
aus der BRD verliebt hatte und seitdem mit ihm eine Fernbeziehung führt.
Die Möglichkeiten, ihre Liebe auszuleben, sind freilich begrenzt.
Dies ändert sich schlagartig. Nach dem Mauerfall glühen zunächst
die Telefonleitungen zwischen dem Apparat der Berliner Studentin und dem
jungen Mann aus dem Rheinland, bevor sich Möllmann wenige Tage später
vor Aufregung zitternd mit dem Zug gen Westen begibt. Die Pflanze ihrer
Liebe bekommt nun neuen Nährboden. Doch nicht nur auf persönlicher
Ebene nähern sich Ost und West im weiteren Verlauf an, auch geschäftliche
Beziehungen werden geknüpft. Ein Beispiel dafür ist Rainer Laser,
der im niedersächsischen Lüchow ein Elektronikfachgeschäft
betreibt. In der Kleinstadt herrscht bald Ausnahmezustand, die nahe gelegene
Grenze nutzen zahlreiche DDR-Bürger als Eintrittstor in den "Goldenen
Westen". Sie haben insbesondere Augen für die bunte Welt der Konsumgüter.
Zunächst freut sich Laser darüber, den interessierten Besuchern
Informationsmaterial über seine angebotenen Produkte aushändigen
zu können, später erfährt sein Geschäft durch die zahlreichen
Neukunden einen wahren Boom. Ein gänzlich neues Aktivitätsfeld
eröffnet sich dagegen in Berlin für Alwin Nachtweh: Die Berliner
Mauer wird zu einer Touristenattraktion, und Nachtweh macht sich die Begehrlichkeiten
der Gäste aus aller Welt zunutze. Er verkauft Stücke der Mauer.
Die unterschiedlich großen Exemplare sind heiß begehrt, doch
der Aufwand zur Gewinnung ist enorm - und kostet ihn jede Menge Schweiß
und Blut.
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Bearbeitet am 28. Oktober 2010