Mutter Beimers Fahrt ins Gück
Zum Ende der "Lindenstraße"

Am 29. März 2020 war ein fernseh-historischer Tag. Nicht etwa deshalb, weil ich am späten Nachmittag die ARD eingeschaltet habe, sondern wegen dem, weshalb ich am späten Nachmittag die ARD eingeschaltet habe: die letzte Folge der "Lindenstraße" lief.

Schon der Umstand, dass ich hier über die letzte Folge der "Lindenstraße" schreibe, ist bemerkenswert. Eigentlich war diese Soap von ihrem Schöpfer Hans W. Geißendörfer für die bundesdeutsche bzw. ab 1990 für die deutsche Ewigkeit gedacht. Die Serie gehörte seif fast 35 Jahren zum festen Bestand der ARD. Trotzdem hat die Senderfamilie die Soap gekillt.

Das kam nicht überraschend. Die "Lindenstraße ist nach dem "Marienhof" und den Dramen um die "Verbotene Liebe" die dritte Soap, bei der die ARD den Stecker gezogen hat. Für die "Verbotene Liebe"  und die "Lindenstraße" war das zumindestens nach meiner Meinung nicht zwingend nötig. Bei der "Verbotenen Liebe" war es für mich klar ersichtlich, dass es Programmgewaltige in der Senderkette gab, die die Soap loswerden wollten. Zunächst blähte man die Serie zeitlich auf, um den Verlust des "Marienhofs" zu kompensieren, dann wurde wieder etwas Zeit beschnitten. Am Ende war die "Verbotene Liebe" quotenmäßig tot.

Mit der "Lindenstraße" verhielt es sich ähnlich: sie war eine wöchentliche Soap, aber die ARD setzte die Soap schon mal gerne für ein paar Wochen aus oder schob sie in ihren Schrummelsender "one". Dass ein solches Verhalten das zahlende Volk verschreckt und vertreibt, dürfte klar sein. Am Ende, so hieß es, hätten nur noch zwei Millionen Leute sonntags die Dramen in München eingeschaltet. Diese Rechnung stimmt indes nicht so ganz: die "Lindenstraße" lief eben nicht nur auf der ARD, sondern auch auf vielen Regionalsendern der ARD, seit der Frühzeit des Fernsehens als "Dritte Programme" bekannt. Oder anders: eine Folge der "Lindenstraße" wurde bis zum Erbrechen in einer Woche ausgestrahlt, dazu kamen und kommen Wiederholungen älterer Episoden. Mein Fazit: mit der "Lindenstraße" hat die ARD viel Sendezeit gefüllt, mit Wiederholungen für ein Produkt, dass sie nur ein Mal bezahlt hat. Noch besser: die "Lindenstraße" war so gut gemacht, dass eben bis heute ältere Folgen durchaus wiederholt werden können. Das klappt bei anderen Soaps eher selten. Wer will heute noch Wiederholungen der RTL-Soap "Unter uns" von 2010 sehen? Eben, keiner! (Dabei dürften regelmäßige Bamby-Leser und Leserinnen wissen, dass ich eine Schwäche für die Weigels habe, aber das ist eine andere Geschichte.) Kommt noch hinzu, dass die "Lindenstraße" ein Eigengewächs der ARD ist. Kein kommerzieller Sender kam auf die Idee, die Soap mit ihren Fans fortzuführen. Warum hat Tele 5 nicht zugegriffen? Weil Mutter Beimer dort nicht hingehört.

Was ich noch seltsamer finde: ohne Not hat die ARD drei eingeführte Soap-Marken vom Markt genommen. Beim Fernsehen geht es um Geld. Nun ist eine Soap aber nicht zwingend auf das Medium Fernsehen angewiesen. Die "Lindenstraße" hat und hatte genug Fans, die eine Ausstrahlung im Radio begrüßt hätten. Radiosender hat die ARD als Kette genug, die alle bespielt werden, um das Volk zu bespielen. Die Marke "Lindenstraße" ist so wertlos geworden, wie zuvor der "Marienhof" oder die "Verbotene Liebe".

Bei den zuletzt mauen Quoten war sicherlich ein Problem, dass die Produktionsgesellschaft von Geißendörfer nicht in der erzählerischen Gegenwart angekommen ist. Sicher, man brachte als erste deutsche Serie einen Schwulen als Hauptfigur. Fast 35 Jahre konnte ich zusehen, wie Carsten Flöter seiner Mutter seine sexuelle Veranlagung beichtete, ich verfolgte seine ersten Liebschaften, ergötzte mich an Robert Engel und staunte, dass der gereifte Carsten sein Heil in der heterosexuellen Lebensform der Ehe (mit Hochzeit unter dem Bild von FJS) fand, konnte ich zusehen, wie die Beziehung scheiterte trotz eines Pflegekindes, von dem man später nichts mehr hörte. Georg Uecker alterte. Nun hätte man auch eine zeitgemäße Version einer schwulen Emanzipationsgeschichte präsentieren können, und tatsächlich: Lisa Sohn Paul war schwul. Vielleicht entspricht es der gesellschaftlichen Realität, dass Teenie-Jungs heute ein geschmeidiges Coming Out erleben können (aber eben nicht müssen), aber von der Erzählung her boten sich ungeahnte Möglichkeiten, von dramatischen Liebesgeschichten ganz zu schweigen. Ob es gleich so herrlich wie einst in einer finnischen Soap abgehen muss, ist eine andere Frage. Immerhin hätte eine schwule Liebesgeschichte um zwei schwule Bengel neues Publikum gewonnen. Einerlei, vorbei.

Bleibt noch ein Rückblick auf fast 35 Jahre "Lindenstraße". Die letzte Folge hat zumindestens für mich klar gemacht, dass es in dieser Serie um die Familie Beimer ging. Mutter Beimer, ihr Hansemann und ihre Brut standen am Anfang der Serie in der ersten Folge, Mutter Beimer marschierte auch als Letzte durch die Lindenstraße, ihren Hansemann im Herzen (und natürlich im Grab), zu ihrem Sohn Klaus mit seinen Frauengeschichten und Tochter Marion, nur mehr am Telefon, der tote Onkel zuletzt durch einen Wildschwinkopf aus der Hölle grüßend, ihren 80. Geburtstag mit der ganzen Crew feiernd. Gesellschaftskritik im Spiegel einer Familie, und ihren Bekannten und Freunden. Toll!

Höhepunkt der "Lindenstraße" war und bleibt für mich indes der Bratpfannentod von Mathias Steinbrück, die nervendste Figur in der Soap. Nach der Rolle war das Gesicht von Manfred Schwabe verbrannt, er tauchte im TV selten in wechselnden Rollen in "Unter uns" auf, wo sein Gesicht und seine Stimme bei mir jedes Mal zu einem Herzanfall führ(t)en. Brillant!

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Bearbeitet am 4. April 2020
(C) Norbert Korfmacher