Goodbye DDR

13. 9. 2005

3. Kati und der schöne Schein
Die Eisläuferin Katarina Witt, von der US-Zeitschrift "Time" als "das schönste Gesicht des Sozialismus" bezeichnet, war Erich Honeckers glanzvollstes Aushängeschild für die DDR. Mit Anmut, Schönheit, Talent und harter Arbeit entwickelte sie sich zu einer der besten Eisläuferinnen der Welt. Sechs Mal in Folge wurde sie Europameisterin, vier Mal Weltmeisterin, zwei Mal in Folge gewann sie olympisches Gold. Ihr Erfolg wurde dem maroden Staat an die Fahne geheftet. Kati Witt verkörperte den "schönen Schein" der DDR. Und nicht nur sie.
Honecker verstand es, dem Ausland, den eigenen Bürgern, aber auch sich selbst eine "heile Welt" vorzugaukeln. Doch wer den Blick hinter die Fassaden wagte, erkannte sie schnell als Kulissen.
Honecker wusste, welche Möglichkeiten der Sport bot, um internationale Anerkennung zu erringen. Die Spitzenathleten steigerten das Prestige der DDR und sollten als "Diplomaten im Trainingsanzug" die Überlegenheit des sozialistischen Systems über das kapitalistische demonstrieren. Tatsächlich war die kleine DDR aufgrund aufwändiger Sportförderung und ausgefeilter Trainingstechniken als Sportnation enorm erfolgreich. Die Kehrseite des Medaillenregens: Wer politisch nicht auf Linie war, wurde aus dem Verkehr gezogen. Die Sprinterin Ines Schmidt musste, als ihre Liebe zu einem Westsportler und ihr Kontakt zu Oppositionsgruppen in Jena bekannt wurden, ihre Laufschuhe abgeben. Der Diskuswerfer und Silbermedaillengewinner von Montreal, Wolfgang Schmidt, wanderte nach einem Fluchtversuch ins Gefängnis. Minderjährige, denen ohne ihr Wissen von Staats wegen Dopingmittel verabreicht wurden, leiden noch heute unter den Folgen.
Bei Honeckers Machtantritt 1971 keimte vor allem bei Künstlern in der DDR Hoffnung auf eine Liberalisierung auf, hatte der neue erste Mann im Staat doch verkündet, dass es auf dem Gebiet von Kunst und Kultur "keine Tabus" geben dürfe. Tatsächlich wehte ein Hauch von Freiheit durch Berlin, als Tausende von Jugendlichen aus aller Welt die Weltfestspiele der Jugend 1973 scheinbar ohne Einschränkungen feiern durften. Doch die Weltläufigkeit war Fassade, dahinter stand die größte Polizeiaktion seit der Niederschlagung des Volksaufstandes im Juni 1953. Tausende Polizisten und Mitarbeiter der Staatssicherheit sicherten die Feier mit dem "Klassenfeind" und hatten unliebsame DDR-Bürger schon vorbeugend eingesammelt. Die künstlerische Freiheit erwies sich als trügerisch. Im Vorfeld der Weltfestspiele hatte eine regelrechter Rockboom eingesetzt, Musikgruppen, die vorher verboten waren, durften auf einmal wieder spielen. Auch Klaus Renft und seine Combo sahen Licht am Ende des Tunnels, wurden aber bald eines Besseren belehrt. Als die Band in ihren Texten Wehrdienstverweigerung und Republikflucht thematisierte, geriet sie in das Blickfeld von Partei und MfS. Die Gruppe wurde 1975 verboten, zwei der Bandmitglieder inhaftiert. Nach der Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann folgte ein Exodus von Musikern, Künstlern, Schauspielern und Schriftstellern.
Der normale DDR-Bürger bekam von solchen Vorkommnissen allerdings nur wenig mit. Die 70er Jahre sind mitunter sogar als "goldene" Jahre in Erinnerung, waren sie doch mit einem höheren Lebensstandard und sozialen Zugeständnissen verbunden. Honecker war noch bemüht, seinen Bürgern eine heile Welt zu präsentieren, als die DDR ihrem Untergang entgegenschlitterte. Der Palast der Republik, Honeckers "Palazzo Prozzo" im Herzen Ostberlins, diente dem Volk als Symbol und Inbegriff der erträumten DDR. Im Fernsehen sorgten Sendungen wie "Ein Kessel Buntes" und "Oberhofer Bauernmarkt" für Heimatgefühl. Die Wirklichkeit fand in den Medien auch dann nicht statt, als das Volk auf der Straße lauthals gegen die Verhältnisse protestierte. Doch Honecker betrog sich selbst. Wenn er eine Stadt besuchte, wurden nicht selten die Außenfassaden der Durchfahrt-Straßen frisch getüncht. Den Grauschleier der Nebenstraßen nahm der Staatschef nicht wahr.
Je prominenter Kati Witt als Weltstar wurde, desto mehr schwand der Einfluss der Machthaber auf sie. Als sie 1988 in Calgary zum zweiten Mal olympisches Gold gewann, titelte die BILD-Zeitung: "Kati, wir lieben dich alle." Die DDR-Führung hatte Angst, sie zu verlieren. Sie wusste, dass Orden und die üblichen Privilegien für Spitzensportler nicht reichen würden, sie zu halten. Schließlich warf die Partei einen ehernen Grundsatz des "Arbeiter- und Bauernstaates" über Bord: Kati Witt durfte als Profi bei der US-Show "Holiday on Ice" ihre Bahnen ziehen. Als die Mauer fiel, war Honeckers glanzvollstes Aushängeschild längst ein Idol für die ganze Welt.
Der Film verknüpft den Werdegang von Katarina Witt mit Lebensgeschichten von Künstlern und Sportlern. Zeitzeugen wie Katarina Witt, Wolfgang Schmidt, Wolfgang Lippert und Katrin Saß erzählen, wie sie die DDR erlebt haben.

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Bearbeitet am 18. Oktober 2005