Résistance

9. 3. 2005

Regie: Christian Klemke

2. Die hungernde Stadt - Leningrad im Zweiten Weltkrieg
Fast 900 Tage lang, vom 8. September 1941 bis zum 27. Januar 1944, schnitten deutsche Truppen Leningrad von der Außenwelt ab. "In meinem Haus sind zwei Familien krank vor Hunger", schreibt die 23-jährige Nina Umowa am 14. Dezember 1941 in ihr Tagebuch. Mit schonungsloser Genauigkeit hält sie das langsame Sterben in ihrer Heimatstadt fest: "Schwellungen im Gesicht, auf den Händen und verlangsamte Bewegungen sieht man immer öfter. Ich selbst nehme immer stärker ab. Mein Körper ist sehr schwach. Seit August habe ich keine Regel mehr." 125 Gramm Brot pro Tag sind alles, was die Leningrader im ersten Kriegswinter erhalten. Im Auftrag der deutschen Wehrmacht berechnet der Ernährungswissenschaftler Wilhelm Ziegelmeyer die Verpflegungssituation in der eingeschlossenen Stadt. Er kennt die Lebensmittelreserven, die Anzahl der Bewohner sowie alle anderen Koeffizienten. Es sei nicht nötig, das Leben deutscher Soldaten aufs Spiel zu setzen, schlussfolgert Ziegelmeyer. Nach den Gesetzen der Ernährungswissenschaft sagt er den baldigen Untergang der Stadt voraus. Schon im Oktober 1941 sterben mehr als 10.000 Menschen an Hunger. Drei Monate später sind es 10.000 täglich. Die Leningrader essen alles: selbstgemachte Sülze aus Lederriemen und Kleister sowie immer wieder Erde. Inzwischen freigegebene Akten des sowjetischen Geheimdienstes NKWD bestätigen, worüber Überlebende reden, als wäre es ein böses Gerücht. Die Akte Nr. SO-2583 hält nüchtern fest: "Ewdokija Wodjanikowa. Beschuldigt und überführt, ihre einjährige Tochter erstochen zu haben, um mit deren Fleisch ihre zweite dreijährige Tochter zu füttern. Verurteilt am 4. Januar 1942. Tod durch Erschießen." Eine Million Menschen sterben allein im ersten Blockadewinter an Kälte und Hunger - doch Leningrad überlebt. Am 27. Januar 1944 bejubeln etwa 800.000 zu Skeletten abgemagerte Menschen das Ende der Blockade. Mehr als 60 Jahre später sieht die 85-jährige Nina Umowa, eine Zeitzeugin, in den Besatzern immer noch "Bestien". Das notierte sie schon damals in ihrem Tagebuch. Allerdings räumt sie heute ein, dass diese "Bestien" wohl "irgendeine Pflicht" zu erfüllen hatten.

Weiter zur nächsten Episode
Zurück zum Episodenüberblick

Bearbeitet am 10. Mai 2005