12. 5. 2005
3. Spandau - Die Strafe
Der dritte Teil konzentriert sich auf Speers 20 Jahre im Spandauer
Gefängnis. Ein wilhelminischer Gebäudekomplex im Herzen Berlins,
Hunderte von Zellen standen leer. Nur ein Flur war belebt - sieben Zellen
waren besetzt von ehemaligen Nazi-Größen, die noch einmal die
Intrigen des untergegangenen Reichs nacherleben lassen. Diese sieben Männer
werden zu Nummern. Nr. 1: Baldur von Schirach, Reichsjugend"Führer"
und Gauleiter von Wien; Nr. 2: Karl Dönitz, Oberbefehlshaber der Kriegsmarine
und von Hitler zu seinem Nachfolger ernannt; Nr. 3: Konstantin Freiherr
von Neurath, Reichsprotektor von Böhmen und Mähren; Nr. 4: Erich
Raeder, Großadmiral; Nr. 5: Albert Speer; Nr. 6: Walter Funk, Reichsbankpräsident;
Nr. 7: Rudolf Hess, bis 1941, vor seinem Flug nach England, Hitlers Stellvertreter.
Die Kleidung kommt anfangs aus dem Fundus der Konzentrationslager. Wir
sehen Speer, wie er Techniken des Überlebens entwickelt und sich auf
seine Rückkehr vorbereitet. Wir erleben ihn beim Umgestalten des Spandauer
Gefängnisgartens, beim Verfertigen von Kassibern, mit denen er das
Leben seiner sechs Kinder mit Hilfe seiner Frau Margarete aus der Haft
steuern will. Das Land "da draußen" konstituiert sich als erfolgreicher
Staat, eine soziale Marktwirtschaft, eine nach Westen orientierte Bundesrepublik,
wobei die Kontinuität der handelnden Personen zu ihrer Rolle im 'Dritten
Reich' erfolgreich verdrängt wird. Das Bild einer neuen, hochmodernen
Gesellschaft wird in seinen auftrumpfenden Bauten maßgeblich geprägt
von Speers Architekten-Kollegen und Managern. Dieser einflussreiche Kreis
wartet auf Speers Entlassung und spendet derweil jeden Monat Geldbeträge
auf ein "Schulgeldkonto", über das Speer aus der Zelle verfügen
kann. Speers 20-jährige Haft ist die Zeit einer weiteren Verpuppung,
in der ein neuer Schmetterling - der intelligente, weltläufige Bestseller-Autor
Speer - entsteht. Speer distanziert sich von Hitler, indem er ihn dämonisiert
und verspottet. Die Raupe 'Hauptkriegsverbrecher' frisst unendlich viele
Bücher in sich hinein und geht immer wieder in die eigene Geschichte
zurück, um sie zu einer strahlenden Legende zu verdichten - eine Legende,
die von einem fast unentwirrbaren Geflecht aus Lügen, Auslassungen
und Wahrheit genährt wird. Dieser "innere" Prozess wird reflektiert
am Beispiel der Familie Speer, der Kinder des Kriegsverbrechers, die alle
mit mehr oder weniger Wissen, mit widersprüchlichsten Gefühlen
zu ihrem Vater, mit Ahnungen und Nicht-wissen-Wollen ihren Weg durchs Leben
angetreten haben und als Arzt, Politiker, Architekt, Wissenschaftler oder
Ingenieur ihre gesellschaftliche Rolle bei der Mitgestaltung und Entwicklung
dieser neuen Demokratie der Bundesrepublik gefunden haben.
Bild: ARD
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Bearbeitet am 29. Juni 2005