Der Sturm

11. 1. 2005

1. Die Schlacht um Ostpreußen
Vor 60 Jahren bebte an der Front im Osten die Erde. Am 12. Januar 1945 begann die sowjetische Großoffensive auf Hitlers Reich mit einer Wucht, die viele Zeitzeugen noch heute als "schlimmstes Inferno" beschreiben. Stalin hatte die größte Streitmacht der Weltgeschichte zusammengezogen. Mehr als anderthalb Millionen Rotarmisten marschierten allein in Ostpreußen ein. Die NS-Propaganda hatte getönt, dass nie ein sowjetischer Soldat die Reichsgrenze überschreiten würde, den Zivilisten waren jegliche Vorbereitungen zur Flucht verboten worden. Die deutschen Stellungen brachen angesichts der vielfachen militärischen Überlegenheit ein wie ein Kartenhaus. Nach wenigen Tagen standen sowjetische Truppen vor Königsberg - zugleich drohte der östlichsten deutschen Provinz die Umfassung von Süden her. Es begann ein Wettlauf mit der Zeit. Erst als der Schlachtenlärm schon zu vernehmen war, wurde das Fluchtverbot aufgehoben. Hunderttausende von Zivilisten brachen überstürzt auf, ob zu Fuß, mit Fahrzeugen, den letzten Eisenbahnzügen oder mit Pferd und Wagen, in oft kilometerlangen Trecks, bei minus 20 Grad Kälte. Manchmal entschieden Stunden über das Schicksal ganzer Dorfgemeinschaften. Der größte geschlossene Treck brach von Schloss Schlobitten auf. Alexander Fürst zu Dohna hatte die Bedrohung früh erkannt und heimlich die Flucht für seine Familie und über 300 Bewohner seiner Ländereien organisiert. Der Treck konnte der Einschließung entgehen, doch nicht allen Bewohner der Güter gelang der rechtzeitige Aufbruch. Sie wurden von den Sowjets überrollt und Opfer einer Besatzung, die Vergeltung für von Deutschen begangene Verbrechen in ihrer Heimat üben wollte. Nachdem der Weg nach Westen Ende Januar '45 abgeschnitten war, blieb den Flüchtlingen nur noch der Ausweg über das zugefrorene Haff an die Ostseehäfen. Auf verlorenem Posten kämpften die Soldaten der deutschen 4. Armee, die westlich von Königsberg eingekesselt wurden. Hitler befahl den Truppen, die Stellung um jeden Preis zu halten und nahm damit den Tod Tausender Soldaten billigend in Kauf. Als am 31. Januar '45 die Festung Königsberg von den sowjetischen Truppen eingeschlossen wurde, lebten noch 130.000 Menschen in der Stadt. Gauleiter Koch, der lautstark Durchhalteparolen gepredigt hatte, setzte sich als erster aus dem Kessel ab. Augenzeugen berichten vom dramatischen Untergang einer Stadt, einer von ihnen ist Michael Wieck, der als Jude in Königsberg erst den Rassenwahn der Nazis überlebte und dann die Willkür sowjetischer Besatzung erlebte.

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Bearbeitet am 15. Februar 2005