Der Sturm

18. 1. 2005

2. Die Russen kommen!
Mit über zwei Millionen Mann und Zehntausenden Panzern und Geschützen drang die Rote Armee im Januar 1945 in Brandenburg, Pommern und Schlesien ein, rückte auf die Oder zu. "Die Russen kommen!" wurde zum Schreckensruf unter den Deutschen im Osten. "Wir waren wie gelähmt vor Angst", berichtet Trude Rendel aus der Kleinstadt Soldin, "andererseits erschien es uns unvorstellbar, dass dieses Unglück nicht aufgehalten werden könnte." Doch am 31. Januar 1945 nahm die Rote Armee auch Soldin ein. Siegestrunkene Rotarmisten brandschatzten Geschäfte, drangen in die Wohnungen ein, vergewaltigten Frauen. Solche Ereignisse waren es, die es der NS-Propaganda leicht machten, eine "Gräuelkampagne" gegen die Rote Armee zu entfachen, wie Propagandaminister Goebbels sie selbst nannte. "Wenn Nachrichten von Morden und Vergewaltigungen von der Front kamen, dann haben wir die Zahlen multipliziert und an die Presse gegeben", erinnert sich Goebbels-Sekretärin Brunhilde Pomsel. Die Schreckensbilder der NS- Wochenschau zeigten Wirkung: "Mehrere Klassenkameradinnen haben sich das Leben genommen, schon bevor die Russen kamen", erzählt Ruth Trinks aus Breslau. Menschen zwischen Todesangst und der verzweifelten Hoffnung, es werde noch ein "Wunder" geschehen - gerade in Breslau. Die schlesische Hauptstadt war Ende Januar von russischen Einheiten eingeschlossen und von Hitler zur "Festung" erklärt worden. "Durchhalten" war der Befehl - und wenn es den Untergang bedeutete. Straßenzug um Straßenzug wurden die oberen Stockwerke der Häuser gesprengt, um den vorrückenden Russen im Häuserkampf die Deckung zu nehmen: Die "Breslauer Methode". Ein ganzes Stadtviertel wurde für eine Flugzeugrollbahn gesprengt. Zwangsarbeiter und deutsche Zivilisten mussten sie im ständigen Feuer der russischen Belagerer errichten. Tausende kamen dabei zu Tode - und die Piste wurde wohl nie benutzt. Doch immer wieder versprach die NS-Propaganda den Breslauern die Rettung: Die Armee von General Schörner werde den russischen Belagerungsring um Breslau aufsprengen. "Bis zuletzt hatten wir gehofft, wir könnten die Keller verlassen und es hieße, General Schörner habe die Russen zurückgeschlagen", gesteht Ruth Trinks. Die Armee Schörner sollte Breslau nie erreichen. In diesen Tagen ließ Goebbels auch in Breslau den Durchhaltefilm "Kolberg" in die Kinos bringen - den teuersten Film des dritten Reiches, in Farbe. Ein Propaganda-Epos aus den napoleonischen Kriegen: Damals hatte die kleine Ostseestadt Kolberg der Belagerung durch die Franzosen standgehalten. Nun sollte das historische Beispiel die deutsche Moral festigen. "Die Wirkung war enorm", erinnert sich Edgar Stüwe, "er wurde uns in Sondervorstellungen gezeigt , und am Ende waren wir davon überzeugt, dass auch wir es schaffen würden, wenn nur alle zusammenhalten." Im März 1945 ist Kolberg belagert durch russische und polnische Armeen. Zufluchtsort für Zehntausende Flüchtlinge, vor allem Frauen und Kinder. Der Befehl Hitlers lautete, Kolberg zu halten bis zur letzten Patrone. Erschütternde Szenen spielten sich an der Hafenmole ab. Im Feuer der russischen Artillerie evakuierte die deutsche Marine die Zivilisten. Als das gelungen war, wurde Kolberg am 18. März 1945 aufgegeben. Die Stadt war zu über neunzig Prozent zerstört. Das Ende von Kolberg wurde auf Weisung von Propagandaminister Goebbels im Wehrmachtsbericht nicht erwähnt.

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Bearbeitet am 15. Februar 2005