Der Sturm

26. 1. 2005

3. Die Todesfalle
Als "Wellenbrecher" gegen die Flut der heranströmenden Roten Armee sah Hitler im April 1945 die Seelower Höhen. So wurde das Oderbruch, 50 Kilometer östlich von Berlin gelegen, zum größten Schlachtfeld auf deutschem Boden. Mit ihren Offensiven an Oder und Neiße verwandelten die Sowjet-Marschälle Schukow und Koniew ganz Brandenburg und das Umland Berlins in eine riesige Todesfalle - nicht zuletzt, weil die Wehrmacht entschlossen war, bis zum Schluss zu kämpfen. Keine andere deutsche Landschaft wurde so von Blut getränkt - allein bei Seelow fielen etwa 12000 deutsche Soldaten, die Russen hatten 33000 Mann zu beklagen. Nach dem Durchbruch der Sowjets wich die geschlagene deutsche 9. Armee von der Oder zurück und wurde am 23. April in den Wäldern um Halbe eingekesselt. Was folgte, war ein Gemetzel unvorstellbaren Ausmaßes. In den Wäldern bei Halbe, südlich von Berlin, befindet sich heute der größte Soldatenfriedhof auf deutschem Boden; allein hier ruhen 25000 zumeist unbekannte deutsche Soldaten - Opfer, die in der letzten große Todesfalle des Zweiten Weltkriegs ein schreckliches Ende fanden. Nur etwa 20000 Mann der 9. Armee konnten ausbrechen und sich bis zur Armee Wenck retten. Diese oft beschworene Armee sollte eigentlich den Belagerungsring um die Hauptstadt aufsprengen - so wollte es Hitler. Bis in den Raum Potsdam stieß die Armee vor, dann entschied General Wenck, seine jungen Soldaten nicht in der Schlacht um Berlin zu opfern. Bei Beelitz warteten seine Truppen auf den Durchbruch der Überlebenden der Kesselschlacht von Halbe. Gemeinsam mit den Resten der 9. Armee setzte sich die Armee Wenck in Richtung Elbe ab. Hitlers letzte Befehle aus dem Bunker wurden von Wenck ignoriert, lieber handelte er mit den Amerikanern eine Übergabe seiner Armee aus. 118000 zumeist sehr junge Soldaten entgingen so in letzter Minute dem Marsch in Stalins Gulag. Beeindruckendes Filmmaterial aus russischen Archiven zeugt von der Schlagkraft der Sowjetarmee, unbekanntes deutsches Farbmaterial von der Oderfront lässt jene Phase des Krieges auf gespenstische Weise lebendig werden. Für die Wochenschauen vorgesehen, sollten die Bilder den Eindruck vermitteln, als könne der Ansturm der Roten Armee noch einmal aufgehalten werden. Davon zeugen auch Original-Wochenschau-Interviews mit deutschen Offizieren an der Oderfront - ihre Durchhalteparolen wurden nie in den Wochenschauen gezeigt, da die Kriegsrealität schnell die Propaganda-Welt überholte. Filme der US-Armee zeigen schließlich, wie sich eine geschlagene deutsche Armee in panischer Angst zu den US-Linien flüchtete und über die Elbe strömte. Von den Schrecken jener letzten Kriegstage zwischen Oder und Elbe berichten zahlreiche Zeitzeugen - unter ihnen auch Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher, der als 17-jähriger Soldat der Armee Wenck bei Tangermünde am 7. Mai 1945 den Sowjets entkam und in US-Gefangenschaft ging.

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Bearbeitet am 15. Februar 2005