Windstärke 8 - Das Auswandererschiff 1855

23. 5. 2005

1. Aufbruch
Am 16. Oktober 2004 machten sich 37 Personen - Männer, Frauen, Kinder - zu einer Atlantik-Überquerung anno 1855 auf: an Bord des Traditionssegelschiffes "Bremen" von Bremerhaven nach New York. Ein abenteuerliches Unterfangen. 68 Tage waren die 19 Passagiere und die 18 Mann starke Besatzung unter der Leitung von Kapitän Hanns Temme auf der klassischen Route der Auswanderer des 19. Jahrhunderts unterwegs. Sie erlebten das Meer und die Naturgewalten direkt und unmittelbar. Die Passagiere lernten die harte Arbeit der Matrosen kennen, das einfache Leben auf engstem Raum, karge Kost und ungewohnte hygienische Verhältnisse. Es gab kein fließendes Wasser, keinen Strom, keine Heizung. Die Nahrungsmittel, die nach den damaligen Proviantlisten zusammengestellt, die zum Beispiel Pökelfleisch und Schiffszwieback enthielten. Und es gab auch sonst keine Annehmlichkeiten der heutigen Zeit. 52 Tage waren ursprünglich für die Überquerung angesetzt. Daraus wurden - bedingt durch Wind und Wetter - über zwei Monate, in denen die Mitreisenden dem nasskalten Nordatlantik genauso trotzen mussten wie der Hitze Nordafrikas. Ein Filmteam begleitete die "Zeitreisenden" während der gesamten Überfahrt bis zur glücklichen Landung am 23. Dezember 2004 im Southstreet Seaport von New York und fing mit der Kamera das Leben an Bord ein - Situationen, Stimmungen und Emotionen. Herausgekommen ist eine fesselnde sechsteilige Fernsehdokumentation über eine bewegende Epoche der deutsch-amerikanischen Geschichte. Segelschiffe waren bis Mitte des 19.Jahrhunderts für Millionen europäischer Auswanderer das wichtigste Verkehrsmittel nach Amerika. Die vielen Emigranten, die sich damals auf den beschwerlichen Weg in die Neue Welt begaben, flohen vor Armut und Kriegen, vor politischer Hetze und Verfolgung. In Amerika erhofften sie sich eine neue Lebensperspektive, Glück, Frieden und Wohlstand.
"Windstärke 8 - Das Auswandererschiff" begab sich auf diesen traditionsreichen Kurs der Sehnsucht - mit Menschen aus dem Deutschland von heute. Ebenso wie die historischen Auswanderer erwartete die Teilnehmer der "Neuzeit" auf ihrem Weg eine Herausforderung auf offenen See. Die Abenteuerreise auf der "Bremen", einem Dreimast-Topsegelschoner aus dem Jahr 1919, der in Stahl gebaut wurde und dessen Innenausstattung für das Unternehmen "Windstärke 8" in wesentlichen Punkten dem Standard des Jahres 1855 angeglichen wurde, sollte so authentisch wie möglich sein, die Bedingungen so historisch wie möglich. Neben der Erfahrung der Isolation und Askese kamen aber auch Müßiggang und Spaß nicht zu kurz. Feiern auf See hat schließlich eine lange Tradition: Vor 150 Jahren spielte man Karten, erzählte sich Geschichten und veranstaltete Tanzabende, um die Sorgen für eine Weile zu vergessen.
Dem Vorhaben "Windstärke 8" ging ein aufwändiges Casting voraus. Schließlich mussten "Auswanderer" gefunden werden, die körperlich wie psychisch stabil waren, die soziale Kompetenz mitbrachten und bereit waren, ihre Grenzen neu auszuloten. Das Ergebnis des Aufrufs zur Teilnahme an diesem Unternehmen war verblüffend: Insgesamt 5.542 Menschen bewarben sich, darunter 4209 Männer und 1.333 Frauen. Das Altersspektrum lag zwischen 13 und 75 Jahren. 513 Personen kamen in die engere Auswahl. Auf 19 Frauen, Männer und Kinder fiel letztlich die Wahl - Familien, Paare, Singles, darunter Handwerker, Künstler, Landwirte und Mediziner unterschiedlichen Alters. Der jüngste Mitreisende war ein Jahr alt, der älteste über 60. Damit ist die Zusammensetzung der Protagonisten mit dem demographischen Spektrum vieler Auswandererfahrten des 19. Jahrhunderts vergleichbar.
Einen dramaturgischen Schwerpunkt innerhalb der mehrteiligen TV-Dokumentation bildet die historische Einordnung: die Auswanderer-geschichten des Jahres 2004 werden mit historischen Biographien und Begebenheiten von damals in Beziehung gesetzt, Parallelen und Unterschiede herausgearbeitet. Somit folgt "Windstärke 8" der Tradition des viel beachteten und preisgekrönten Fernseh-Mehrteilers "Schwarzwaldhaus", in dem eine Familie das Leben von vor 100 Jahren ohne Strom und fließend Wasser im Schwarzwald nacherlebte.
Die "Bremen", ein traditioneller Dreimaster und Toppsegelschoner, wie es sie heute kaum mehr gibt, ist auf dem Weg nach Bremerhaven. Auf Kapitän Hanns Temme und seine 17-köpfige Mannschaft wartet dort seine "Fracht". So nannte man früher die Passagiere auf den Auswandererschiffen. Insgesamt 19 Freiwillige aus ganz Deutschland werden sich auf historischen Spuren der Auswanderer in das Jahr 1855 begeben. In der so genannten "Zeitschleuse" beginnt die Einstimmung auf das Leben im 19. Jahrhundert. Die Passagiere müssen alles abgeben, was nicht in die vergangene Zeit passt: Uhren, Handys, Schmuck sowie persönliche Dinge. Dann werden sie nach der damaligen Mode passend eingekleidet und mit historischen Utensilien ausgestattet. Es folgt der zuweilen schwere Abschied von Angehörigen und Freunden. Danach werden alle auf das Schiff gebracht, in ihre Unterkünfte im Zwischendeck eingewiesen - Frauen und allein reisende Männer streng voneinander getrennt - und mit den historischen Bedingungen vertraut gemacht: kein Strom, kein fließendes Wasser, leben wie im Jahre 1855. Für Hans-Peter Ammann, genannt "Piet", und Rolf Baasch kommt als Besonderheit hinzu, dass sie als Mannschaftsmitglieder angeheuert haben. Piet ist der Koch ("Smutje"), Rolf wird für die kommenden Wochen als Schiffsjunge ("Moses") auf der Bremen Dienst tun - und der beginnt sofort. Piet muss das Abendessen vorbereiten. Keine leichte Aufgabe, denn die Kombüse ist eng, klein und der einzige Holzofen noch kalt. So besteht das erste Abendessen nur aus Brot, Wurst und Käse. Die erste Nacht verbringen die Auswanderer noch auf Reede in der Weser. Noch herrscht fröhliche Aufbruchstimmung. Am nächsten Morgen müssen die Männer unter den Zwischendeckpassagieren beim Ankerhieven und Segelsetzen mit anpacken. Rolf darf gleich zu Beginn hoch ins Rigg: 30 Meter über dem schwankenden Schiff. Die Proviantmeisterin Eva Doerr geht inzwischen mit Piet sämtliche Vorräte durch. Wird er den Menüplan der Reise durchhalten können? Piet ist der erste, der angesichts der harten Bedingungen der Zeitreise ins Schwitzen gerät.

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Bearbeitet am 15. Juni 2005