Berlin - Saigon

27. 3. 2007

1. Aufbruch an die Wolga
An der Strecke locken Landschaften im Zauber des Winters, die Geheimnisse der russischen Wodkabrennerei und die betörende Schönheit von Kirchengesang. Aber auch die längste Zugreise beginnt mit dem Weg zum Bahnhof. 16.000 Kilometer Eisenbahnfahrt bis nach Saigon liegen vor Dirk Sager und seinem Team. Die erste Etappe führt von Berlin bis an die Wolga, an deren östlichem Ufer die asiatische Steppe beginnt. Aber ein Motiv klingt schon an, bevor sich der Zug im Berliner Vorortbahnhof Lichtenberg in Bewegung setzt. Der Weg dorthin führt durch die Karl-Marx-Allee, die als Prachtboulevard der alten Hauptstadt der DDR einst den Namen Stalins trug. Berlin war damals der westliche Vorposten seines Imperiums und auf der langen Strecke bis nach Vietnam bleibt das Team im einstigen Machtbereich des Moskauer Tyrannen. Die Reise über Kontinente ist auch eine Begegnung mit der Geschichte eines Jahrhunderts der Schrecken, dessen Schatten bis in die Gegenwart reichen. - Dicke Eisschollen treiben auf der Oder, und eine kalte Januarsonne legt purpurnen Glanz über das Flusstal - die erste von vielen Grenzen, die auf der Reise überquert werden. Wie ein funkelndes Juwel leuchtet am Abend Warschau in der Winternacht. Die Stadt, die während der Nazi-Okkupation Schreckenszeiten durchlebte wie keine andere Stadt in Europa, galt schon in der kommunistischen Ära als "Paris des Ostens". In Jazzkellern und Studentenclubs ist ein Flair zu erleben, dessen intellektuelle Eleganz bezaubert. Das wieder aufblühende Warschau ist die letzte westliche Metropole auf dem Weg nach Osten. - Am Grenzbahnhof Brest überquert der Zug die Scheidelinie zu Europas Osten, nicht nur weil dort die Fahrgestelle der Waggons ausgetauscht werden. Denn ab Brest gilt die breitere russische Spurweite für die Eisenbahn. Die kleine Stadt am Bug, die heute zu Weißrussland gehört, war in sowjetischer Zeit das Portal zum Kerngebiet des Moskauer Imperiums, woran schon der prächtige, im Zuckerbäckerstil errichtete Bahnhof erinnert. Aber das ist nicht die einzige Spur, die die Geschichte hinterließ. Brest war in der Zeit des Krieges eine kleine Bühne für den großen Schrecken. Und die großen Schurken des vergangenen Jahrhunderts ließen es sich nicht nehmen, dort zu einem Auftritt zu erscheinen. - Der europäische Teil der Reise führt in Regionen, wo die Tragödie der Vergangenheit noch kein Ende gefunden hat. Das nach seiner Unabhängigkeit so viel versprechende Weißrussland ist in die kalte Nacht einer Diktatur gefallen. Dirk Sager trifft mutige Journalisten und Theatermacher, die sich der Willkür des Präsidenten Lukaschenko entgegenstellen. Die Hoffnung, dass auch ihr Land den Weg nach Europa finden wird, wollen sie nicht aufgeben. - Smolensk, Tambow und schließlich Saratow an der Wolga sind die Stationen am Weg durch Russland. Chorgesänge in Kathedralen, das wundervolle Geläut der Kirchen lassen vernehmen, dass ein anderer Kulturkreis die Reisenden empfängt. Dazu gehört in gewisser Weise auch der Besuch in einer Wodka-Destillerie, die zu den berühmtesten in ganz Russland gehört. Der feierliche Ernst, mit dem die Degustation für die Reisenden inszeniert wird, hinterlässt einen bleibenden Eindruck. Wem andere Sinnesfreuden abgehen, der erkennt spätestens an diesem Ort, dass er in Russland angekommen ist.

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Bearbeitet am 16. April 2007