Berlin - Saigon

3. 4. 2007

2. Zum Höllenfeuer nach Kasachstan
Das Bild ist so unwirklich, als sei es nicht von dieser Welt: Rostige Schiffe liegen in weißer, endloser Steppe. Zwischen den Wracks staksen Kamele und scharren im Schnee auf der Suche nach Nahrung. Nichts verrät, dass dies einmal der Boden eines großen Gewässers war, so groß, dass die Einheimischen ihren Aral-See ein Meer nannten. Das Team hat die Grenze zu Kasachstan überquert und mit einem Jeep einen abenteuerlichen Abstecher zum Ort einer der größten, von Menschen verursachten Ökokatastrophen der Geschichte gemacht. Weil ihm das Wasser abgegraben wurde, trocknete der See aus. Nur wenig Wasserfläche ist noch geblieben. Zurück blieben die Wracks, aber auch Hafenstädte und Fischerdörfer, die heute hundert Kilometer vom Ufer entfernt liegen. Die Menschen sind um ihre Existenz gebracht und werden im Sommer von giftigen Staubstürmen bedroht. Dirk Sager besucht eine entlegene, einsame Siedlung, in der einige Fischer noch leben wie ihre Vorfahren. - Der frevelhafte Plan, mit dem Wasser der Flüsse, die früher in den Aralsee mündeten, Steppengebiete für die Landwirtschaft nutzbar zu machen, entstammte einer Zeit, in der die roten Zaren in Moskau meinten, auch die Natur beherrschen zu können. Kein Gebiet der einstigen Sowjetunion schien sich für Experimente so gut zu eignen, wie die schier endlosen Steppen Kasachstans. Den Nordosten des Landes bei Semipalatinsk wählten die Moskauer Machthaber als Ort, um ein höllisches Feuer zu entfachen. Über fünfhundert Atombomben wurden dort getestet, bis Russland nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion das Testgelände aufgeben musste. Bis zu jenem Zeitpunkt war das Territorium großräumig abgesperrt. Was dort geschah unterlag strenger Geheimhaltung. Das ZDF-Team machte einen Ausflug dorthin und traf auf Dörfer, in denen die Einwohner heute in der dritten Generation an den Folgen radioaktiver Vergiftung erkranken - und sterben.

Baikonur ist ein weiterer Ort, der auf keiner offiziellen Karte verzeichnet war: das sowjetische Raketenzentrum. Es ist ein Ort, der zu seinen besseren Zeiten den Westen das Fürchten lehrte. Denn hier gelang den sowjetischen Raumfahrt-Pionieren im Herbst 1957 zum ersten Mal, einen Satelliten in eine Erdumlaufbahn zu schicken und bald darauf die Hündin Laika, die als erstes Lebewesen den Kosmos erreichte. Heute ist Baikonur ein offiziell zugänglicher Weltraumbahnhof, der sich im internationalen Markt zu behaupten sucht. Aber die alten Träume der Pionierzeit wirken noch nach.

Kasachstan in der sowjetischen Zeit war eine Versuchsküche für russische Großmannssucht. Seit mehr als 15 Jahren ist es ein unabhängiger Staat und wird immer noch unterschätzt. Dirk Sager besucht Erdölfelder, aus denen ein deutsches Unternehmen mit der Mischung von alter DDR-Expertise und westlichem Kapital Nutzen zu ziehen sucht. Kasachstan verfügt über Reserven an Erdöl und Erdgas, die die Steppe zum Schlachtfeld zwischen Ölkonzernen aus aller Welt macht. Der neue Reichtum des Landes beflügelt seinen Herrscher, den unter fragwürdigen Bedingungen immer wieder gewählten Präsidenten Nasarbajew, mitten in der unwirtlichen Steppe eine neue, bizarre Hauptstadt zu bauen. In der alten aber, in Almaty zu Füßen des Gebirges Tienschan, pulsiert des Tags wie des Nachts das Leben einer Metropole. Kasinos, Nachtclubs, in denen die Erdöldollar ausgegeben werden. Hier wächst eine junge Generation heran, der Paris und London näher ist als die sowjetische Vergangenheit. - Der Weg nach China führt entlang des mächtigen Gebirgsriegels Tienschan nach Norden, bis sich nach Osten eine Hochebene als Durchlass öffnet, die Dschungarische Pforte. Sturm rüttelt an den Waggons, dass man fürchten kann, sie würden von den Gleisen gerissen. Durch diese unwirtliche Gegend zogen die Karawanen der Seidenstraße und die Reiterhorden von Dschingis Khan, die auch das Reich der Mitte unterwarfen. Man betritt China durch die Hintertür - auf einem Weg, den nur wenig Touristen wählen. Die nordwestliche Region Xinjiang ist ein politisches Pulverfass und Fremde, zumal Journalisten, werden dort nicht gern gesehen. Das ZDF-Team durchstreift den Basar von Ürümqui, der Provinzhauptstadt, und trifft auf die verarmten Ureinwohner vom Volk der Uiguren, das sich bis in die neunziger Jahre in blutigen Aufständen gegen die chinesische Herrschaft wehrte. Das ist die erste Begegnung mit der Wirklichkeit des Landes, dessen Mythos vom unaufhaltsamen Aufstieg in den sozialen Problemen an seine Grenzen stößt.

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Bearbeitet am 16. April 2007