27. 11. 2007
3. Verbrechen der Armee
Jahrzehntelang prägte das Bild von einer, im Gegensatz zur SS,
"sauberen Wehrmacht" die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg. Dies erklärt
die heftigen Reaktionen zur provokanten Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht"
nach ihrer Eröffnung vor zehn Jahren. Es gibt wohl kaum ein Thema,
das seither öffentlich so kontrovers diskutiert wurde. Mehr als 17
Millionen Männer gehörten Hitlers Armee an - sie war ein Abbild
der Gesellschaft. Praktisch jede deutsche Familie hat Soldaten in ihren
Reihen gehabt: "War auch 'Opa' ein Verbrecher?" fragten sich zahlreiche
Deutsche erstmals. Ehemals führende Militärs versuchten nach
dem Krieg, die Verantwortung für die Mordtaten allein der SS anzulasten.
Der Entschluss zur Vertuschung fiel längst vor der Niederlage: "Bei
allem, was ich aussage, habe ich mir vorgenommen, es immer so zu drehen,
dass das Offizierskorps reingewaschen wird. Rücksichtslos!", sagte
General Edwin Graf von Rothkirsch. Auch er war im britischen Offiziers-Gefangenenlager
Trent Park bei London interniert und wurde dort abgehört. Einige besonders
bezeichnende Gespräche werden anhand der jüngst entdeckten Lauschprotokolle
szenisch rekonstruiert. Am generellen Fazit lässt der aktuelle Forschungsstand
keinen Zweifel: Die Liste der Verbrechen der Wehrmacht ist lang, vor allem
an der Ostfront. Der Angriff auf die Sowjetunion, der Abermillionen Menschen
das Leben kostete, war, in der Neuzeit beispiellos, vom ersten Tag an ein
verbrecherischer Krieg. Im Osten erreichte die Totalisierung des Vernichtungskrieges
einen historischen Höhepunkt. - Die Ermordung der Juden war das Menschheitsverbrechen,
auch die Wehrmacht war darin verstrickt. Eine hohe Verantwortung trug namentlich
die Generalität, die ihren durchaus erheblichen Spielraum fast nie
zur Eindämmung von Unrecht und Gewalt einsetzte: im Gegenteil. 900.000
Männer, Frauen und Kinder, davon 500.000 im Operationsgebiet des Heeres,
fielen dem Völkermord allein im ersten Jahr des Russlandfeldzugs zum
Opfer.Ein, wenngleich relativ geringer, Teil davon wurde direkt von Einheiten
der Wehrmacht ermordet, insgesamt etwa 20.000 Menschen. - Nach Schätzungen
von Experten waren etwa fünf Prozent der Wehrmachtsoldaten unmittelbar
an Verbrechen beteiligt. Das ergibt allein für die Ostfront eine Gesamtzahl
von einer halben Million Mann. Im Umkehrschluss wird daraus ebenso ersichtlich:
Für fast zehn Millionen Mann an dieser Front trifft das nicht zu.
Wenngleich die Wehrmacht somit in der überwiegenden Zahl der Fälle
nicht als Täter auftrat, unterstützte sie dennoch vielfach den
Holocaust, indem sie Mordkommandos logistische Hilfe gab und Absperrkommandos
aufstellte. Immer mehr Soldaten wussten von der Ermordung der Juden. Eine
Vielzahl von Zeugnissen belegt, dass sich die Kunde von den Geschehnissen
im Hinterland der Front in Windeseile verbreitete. - Mit einer Vielzahl
von Zeugenaussagen zu ausführlich dokumentierten Einzelbeispielen,
mit wissenschaftlichen Belegen, Dokumenten und Filmaufnahmen vermittelt
der Film eine abgewogene Bilanz zu einem Thema, das immer wieder Anlass
zu hitzigen Debatten gibt.
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Bearbeitet am 29. Dezember 2007